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Faules Bienchen

Ich schlafe zehn Stunden am Tag und arbeite nicht - aus politischen Gründen. Seit Bertrand Russel muss ich deswegen auch kein schlechtes Gewissen mehr haben.

Als ich anfing zu studieren, änderte sich mein Leben dadurch kaum. Ich wohnte nun allein in der Großstadt und hatte keinen Fernseher, aber das war nicht weiter beängstigend oder spannend. Ich war auch nicht ganz allein: Einige Freunde waren zum selben Zeitpunkt wie ich in die Stadt gezogen – darunter einer meiner besten: Moul.

Moul hatte sich für Fremdsprachen entschieden, ich mich für Literatur. Mit anderen Worten: Wir hatten keinen Plan. Oder besser gesagt: Das französische Gymnasium hatte es nicht geschafft, uns auf Linie zu bringen. Die dort herrschende Hysterie, schnell zu studieren und danach eine steile Karriere hinlegen zu müssen, ließ uns unbeeindruckt. Wir wollten es erst mal entspannt angehen und bei der Gelegenheit endlich etwas für unseren Intellekt tun.

Bücher lesen ist einfacher als Sprachen lernen. Damit hätte Moul rechnen müssen. Nach zwei Monaten schmiss er die Fremdsprachen, blieb stattdessen zu Hause und zeichnete – seine wahre Leidenschaft. Ich besuchte ihn oft. In seinem Zimmer unter dem Dach stand kein Schreibtisch, nur ein Couchtisch, auf dem sich alles stapelte. Wenn ich mich langweilte, durchsuchte ich den Stapel. Einmal fand ich dabei zwischen den Kritzeleien und Zeichnungen ein Buch.

Es war eines dieser winzigen, gelben Taschenbücher, die Literaturbanausen auf den Geschmack für Hochliteratur bringen sollen. Ich griff nach dem Heft, das den viel versprechenden Titel Lob des Müßiggangs trug. Es war von Bertrand Russell .

Ich: "Ist das gut?"
Moul: "Weiß nicht. Hab's nicht gelesen. Hat mir meine Schwester geschenkt."

Bingo. Mouls Schwester war das Gegenteil von ihm. Kurze, schwarze Haare, Mokassins, Hosenrock. Hochbegabte Schülerin, Studentin, Senatoren-Assistentin. Keine Drogen, kein Freund, keine Musik. Ein Freak, keine Frage. Trotzdem war sie offen und hatte Humor. Ich mochte sie. Ein von ihr ausgesuchtes Buch mit so einem Titel dürfte einen interessanten Beitrag zu Mouls und meiner Lieblingsbeschäftigung – dem Nichtstun – leisten.

Ich kam nie über die vierte Seite hinaus. Der essayistische Stil des britischen Philosophen und Mathematikers verdarb mir immer wieder den Spaß am Lesen. Eigentlich las ich lieber Geschichten. Und ganz ehrlich: Der Inhalt entzog sich meinem Verstand.

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