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Gerettet

Von wegen Comics sind was für Doofe. Ohne André Franquins "QRN ruft Bretzelburg" wäre ich heute ein kulturloser Literaturbanause.

Am Kopfende meines Bettes liegt eine Auswahl von Büchern, die mich in letzter Zeit fasziniert haben: "Middlesex" von Jeffrey Eugenides, "Das Paradies ist anderswo" von Mario Vargas Llosa und "Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich" von David Foster Wallace. Alles schöne, interessante Bücher. Aber wahrscheinlich hätte ich nicht eines davon angefangen, wäre mir nicht in meiner Jugend eine viel weniger hochkulturelle Lektüre in die Finger gekommen: "QRN ruft Bretzelburg" - ein Comic-Buch von André Franquin.

Während meiner Kindheit habe ich so gut wie nie gelesen. Vielleicht ein "Pitje Puck" oder "Die Welle" als Zwangs-Lektüre in der Schule. Literatur, ebenso wie Kunst, hat mich in keiner Weise interessiert. Ausgerechnet ein Comic hat das verändert. Nach "QRN" wollte ich zunächst Comic-Zeichner werden, dann Künstler und schließlich Schriftsteller. Alles, was man als Kultur bezeichnet, bekam in den Folgejahren einen Glanz, den es vorher nicht hatte.

Dass ausgerechnet ein Comic diese Faszination auslöste, ist im ersten Augenblick nicht unbedingt nachvollziehbar. Schon der Titel klingt nicht besonders einladend: "QRN ruft Bretzelburg" ist Band 16 der deutschen Ausgabe von "Spirou und Fantasio". Es erzählt die Geschichte zweier benachbarter Länder, die sich in einem Konflikt befinden und darum ein Wettrüsten beginnen. Das diktatorisch geführte Königreich Bretzelburg lässt seine Bevölkerung für neue Waffen ausbluten. Die Einwohner hungern und tragen Anzüge aus Papier. Wer aufmuckt, wird umgehend von der Bretzpo, der Bretzelburger Geheimpolizei, inhaftiert. Der König ist formales Staatsoberhaupt, in Wirklichkeit aber nur eine unter Drogen gesetzte Marionette der Waffenhändler.

Spirou, Fantasio und das Marsupilami geraten per Zufall in einen Konflikt, der die Metapher für das Europa des 20. Jahrhunderts ist: Diktatur, Nationalismus, Kriegslüsternheit. Rein optisch schwebten dem Zeichner André Franquin ursprünglich die Staaten Österreich und Italien vor. Rolf Kauka, der Bad Guy der Comic-Szene und Herausgeber von "Fix und Foxi", benannte Bretzelburg und Wichtenstein kurzer Hand in DDR und BRD um.

Das Comic erzählt mehr als nur eine lustige und spannende Geschichte. Franquin vermittelt eine ganz besondere Stimmung: Eine Mischung aus albernem Humor und dem Wissen um die atomare Bedrohung der Welt. Bereits Ende der 1940er Jahre wanderte er mit seinem Mentor Jijé, von dem er die Serie übernommen hatte, aus Angst vor einem 3. Weltkrieg für einige Jahre in die USA aus. Ebenfall mit dabei war übrigens auch ihr Freund Morris, der dort den Wilden Westen für seine Serie "Lucky Luke" studieren wollte und auf ein Engagement bei Disney hoffte. Was Morris entdeckte, war einer der besten Comic-Autoren, den es je gab: René Goscinny, der für die Satirezeitschrift MAD arbeitete und später die Serie "Asterix" erfand.

Franquin war Pazifist – seinen Spirou-Alben ist das jedoch kaum anzumerken. Häufig tauchen darin Schusswaffen auf, die Anfangs noch der französischen Zensur zum Opfer fielen und wegretuschiert werden mussten. Trotzdem gab es nur einen einzigen Toten: einen Atomwissenschaftler, der just in dem Augenblick, als er die Formel für die Superbombe gefunden hat, versehentlich von einem pflanzenfressenden Dinosaurier verspeist wird. Franquins Leidenschaft, der Verlagstrottel Gaston, für den er die Titelserie des Magazins Spirou aufgab, zeigt sich dagegen deutlich pazifistischer.

Auch die "Schwarzen Gedanken" sind weniger pazifistisch, denn kritisch gegenüber den Machthabern. Ein Comic mit schwärzestem Humor, das gleichzeitig Ausdruck Franquins künstlerischer Fähigkeiten und seiner tiefen Depression war. Sie war der Grund dafür, dass er die Arbeit an "QRN ruft Bretzelburg" für ein Jahr aussetzte. In dieser Zeit war er nicht mehr in der Lage, einen Stift zu halten - selbst das Autofahren fiel ihm schwer, wie er in der großartigen Interview-Biografie "Das große André Franquin-Buch" von Numa Sadoul erzählt. 1961 begann er mit der Arbeit an seinem Comic-Album, doch erst drei Jahre später konnte er es mit Hilfe des Autors Greg beenden. 1967 zeichnete er noch eine weitere, letzte Geschichte, bevor er die Serie im Jahr darauf an einen Nachfolger abgab.

André Franquin wurde aufgrund seines Zeichenstils und seiner grafischen und erzählerischen Experimente zu einem anerkannten Künstler. Er hat den franko-belgischen Stil wesentlich geprägt und als alternative Kunstform salonfähig gemacht. Aber er war auch ein hervorragender Geschichtenerzähler – davon zeugt "QRN ruft Bretzelburg". Franquin hat mich inspiriert und motiviert - auch wenn es bei mir nicht zum Künstler gereicht hat. Die drei Bücher liegen deshalb am Kopfende meines Bettes, weil ich noch keines zu Ende gelesen habe.

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