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Tonträger

Was zum Anpacken

MP3s sind dabei, das Format CD zu verdrängen. Ist das der Niedergang des Abendlandes? Ja, meint Katharina Litschauer


Gerade mal fünfzehn Jahre ist es her, dass ich meine erste CD kaufte. Schweren Herzens und nicht wirklich überzeugt, denn ich weinte damals noch der Vinylplatte nach. Mit der konnte die Compact Disc schon allein wegen des winzigen Covers nicht mithalten. Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal die CD verteidigen würde. Doch ich konnte ja nicht ahnen, dass auch dieses Format einmal derart bedroht sein würde.

Von illegalen Downloads rede ich gar nicht. Dass man Musik nicht klaut, sondern kauft, sollte selbstverständlich sein. Doch darum geht es hier nicht. Es geht um Stil und Sinnlichkeit, um Information und um Kunstverständnis.

Zehn gute Gründe für das CD-Format:

1. Artwork
Schon aus rein ästhetischen Gründen kann Musik im Dateiformat nicht mit CDs mithalten. Ernstzunehmende Künstler investieren viel Zeit, Geld und Liebe in das so genannte Artwork ihrer Platten. Mit Bildern, Fotos, Text und Grafik auf dem Cover und im Booklet schaffen sie eine zusätzliche Ebene, die etwas über die Kunst und die Menschen dahinter aussagt. Ein gutes Cover ist auch ein Bezugspunkt – man denke beispielsweise an das Weiße Album der Beatles.

2. Liedtexte
Es ist eine feine Sache, wenn man während des Hörens die Texte mitlesen kann, ohne dass man dafür den PC hochfahren muss. Natürlich kann man Liedtexte mittlerweile im Internet nachlesen. Aber die wurden vielleicht von einem Fan frei interpretiert, der selbst die Hälfte nicht verstanden hat. Sicherheit hat man nur mit dem offiziellen Booklet.
Im Idealfall sind die Lyrics auch noch ästhetisch ansprechend gestaltet und mit genauen Angaben zu ihren Verfassern und eventuellen intertextuellen Bezügen versehen.

3. Was zum Angreifen
Beim Cover kann neben der visuellen Ebene auch die haptische eine Rolle spielen. Plastik oder Pappe? Blechbox oder Digipak ? Zum Aufklappen oder Auseinanderfalten?

4. Der Zauber des neuen Besitzes
Es ist immer wieder ein schönes Gefühl, auf dem Heimweg vom Plattenladen die eben erstandene CD in die Hand zu nehmen, das Cover anzusehen, im Booklet zu blättern und sich dabei auf die Musik zu freuen. In den ersten Tagen nach dem Kauf nimmt man das gute Stück immer wieder zur Hand, stellt die Hülle vielleicht als Blickfang im Wohnzimmer auf, und erfreut sich am Anblick des neuen Besitzes.

5. Das Kleingedruckte
Immer wieder interessant: die Credits. Wer dankt wem wofür? Wer hat mitgeschrieben, -produziert, -gespielt? Wen die Hintergründe der Albumproduktion nicht so fesseln, der freut sich über den Einblick in das persönliche Umfeld oder über ein paar gute Fotos der Band.

6. Das Album
Gute Alben haben eine Dramaturgie – die Songs stehen in Relation zueinander und ergeben zusammen ein sinnvolles Ganzes. Mit dem Ende der CD wird das Album als Form und Einheit für viele Hörer seine Relevanz verlieren. Sie werden nur noch einzelne Lieder kennen – oft ohne zu wissen, aus welcher Zeit diese stammen, in welchem Zusammenhang sie entstanden sind und wer ihr Urheber ist.

Die Entwicklung eines Künstlers lässt sich aber anhand ganzer Alben viel besser verfolgen als anhand einzelner Stücke. Martin Blumenau, Redakteur des Radiosenders FM4 , schrieb dazu einmal : "Für die, die Musik ernst nehmen, ist das Album auch deshalb unverzichtbar, weil es deutlich anzeigen kann, ob der Künstler einen langen Atem hat."

7. Der Spiegel der Seele
Wir alle kennen diese Situation: Zum ersten Mal in der Wohnung eines neuen Bekannten. Irgendwann ist man für zwei Minuten allein. Schubladen durchwühlen geht nicht, trotzdem möchte man etwas über den Gastgeber erfahren. Also schaut man ins CD-Regal. Da findet man Gesprächsthemen ("Warst du auch mal Blur -Fan?"), Seelenverwandtschaftsbeweise ("Wenn sie dieses Album auch besitzt, ist es Liebe!"), Abgründe ("Schlager? Sympathisch, dass er das nicht versteckt."), und Warnungen, die einen geordneten Rückzug nahe legen ("Eine CD-Box DJ Bobos Greatest Hits .")

Die Musik, die ein Mensch besitzt, lässt tief in seine Seele blicken. Wie soll das funktionieren, wenn man alles nur noch herunter lädt? Schnell den PC hochfahren? Mal eben den Mp3-Player durchsuchen? Vermutlich wird man dann beim Gang durch die Wohnung nur noch die Stellen entdecken, an denen für Staubwischen keine Zeit war, und das Urlaubsfoto mit der unausstehlich hübschen Ex-Freundin.

8. Das Autogramm
Das wertvollste Stück Tonträger ist eine signierte Platte. Wenn es die CD nicht mehr gibt, womit geht man dann nach dem Konzert zur Band? "Hallo, kann ich ein Autogramm auf meinem Mp3-Player haben?" Das klappt höchstens einmal, danach ist kein Platz mehr auf dem Ding. Abgesehen davon hält Edding nicht auf den Hochglanz-Oberflächen technischer Geräte.

9. Das Mixtape
Menschen mit Stil und Geschmack machen gerne Mixtapes für die, die ihnen am Herzen liegen. Auch wenn ein Mixtape im Grunde auf eine Kassette gehört, bleibt auch bei einer selbst zusammengestellten CD die Tatsache: Es handelt sich um ein Geschenk. Man kann es auspacken, ansehen, in die Hand nehmen. Wie sieht ein Mixtape im Zeitalter der Mp3 aus? Ein E-Mail mit zehn Songs im Attachment? Ein USB-Stick?

10. Sicherheit
Das Risiko, seine gesamte Musikbibliothek zu verlieren, ist sehr viel geringer, wenn Musik auf CDs aufbewahrt wird. Während Einbrecher, Taschendiebe und Autoknacker selten die ganze Plattensammlung mitnehmen, sind Laptop und IPod schnell geklaut.

Die CD dient als Körper für die Seele der Musik. Dafür hat sie unsere Wertschätzung verdient. Schluss mit den unsichtbaren Speichermedien, lasst der Musik ihre Gegenständlichkeit!

Auch schön:

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