In meinem Stadtteil zünden Krawallos Autos an. Und wie soll ich jetzt nach Heiligendamm kommen?
Die Kolumne von Markus Kavka
Letzte Woche wurde unsere Tiefgarage ausgeräuchert. Drei vermummte
Gestalten - gestochen scharf von der Überwachungskamera abgefilmt -
stapelten am Einfahrtstor ein paar Autoreifen, legten Holzbalken drauf,
übergossen das Ganze mit Brandbeschleuniger, zündeten es an, schrieben
noch schnell ´Masse statt Klasse´ an die Wand und verschwanden wieder.
War ´ne Sache von dreieinhalb Minuten. Die wortlose Kommunikation sowie
die straffe Abfolge der Arbeitsschritte legen den Verdacht nahe, dass
die Typen so etwas nicht das erste Mal gemacht haben. Dennoch hätte die
Aktion gewaltig ins Auge gehen können. Wenn das Feuer nicht so früh
entdeckt worden wäre, wäre in der Garage ein Auto nach dem anderen
explodiert, und da die Lüftungsschächte von unten durchs komplette
Gebäude führen, hätte der Kamineffekt dazu geführt, dass rasch auch die
Wohnungen gebrannt hätten.
Das hatten die Kollegen anscheinend nicht auf dem Schirm, oder aber es
war ihnen egal, sie hatten am Ende sowieso erreicht, was sie wollten.
Denn das in den Beton geschmolzene Metalltor, der in Mitleidenschaft
gezogene Querträger über der Einfahrt sowie die Tatsache, dass eine gute
Stunde lang verbrannter Gummi in die Tiefgarage reinrußte, führten dazu,
dass der Autounterschlupf aufwändig saniert werden muss und für die
nächsten sieben Wochen nicht mehr befahrbar ist. Was bedeutet, dass die
etwa einhundert, teilweise nicht ganz billigen Karren nun auf Kreuzbergs
Straßen stehen und entspannt abgefackelt werden können. Es hat nur drei
Tage gedauert, bis der Audi Q7 meines Nachbarn brannte. Sah nicht schön
aus, genau so wie der Motorroller, der dummerweise daneben stand und der
zwanzig Jahre alte VW Golf, der davor parkte und von dessen Heckscheibe
sich die verkokelten Reste von Antifa- und Anarchieaufklebern lösten. Kollateralschaden, Pech gehabt.
Wenn ich mich nicht verzählt habe, brannten seit Ende März in den
Bezirken Kreuzberg, Friedrichshain, Prenzlauer Berg und Mitte gut
dreißig - Achtung! - "Bonzenkarren". Gähn.
Autos abfackeln fand ich schon immer infantil. Stinkt, ist
umweltschädlich, hat nichts Nachhaltiges, außerdem wird für jede
verbrannte Karre sowieso eine neue nachgebaut.
Nicht überraschend: Bei allen Brandanschlägen in den letzten Wochen
ermittelt der Staatsschutz, weil man davon ausgeht, dass sie im
Zusammenhang mit dem G8-Gipfel stehen.
Um eines klar zu sagen: Bei dem, was in Berlin in den letzten Wochen
abgeht, kann ich sehr gut nachvollziehen, dass die Linke sich (endlich
mal wieder) regt, lange Zeit lag die Szene ja in so einer Art
Dornröschenschlaf, die Mittel finde ich allerdings eher so mittel.
Keine Frage, die Großrazzien in Kreuzbergs linken Szenetreffs vorletzte
Woche waren komplett überzogen. Man muss sich also nicht wundern, wenn
das Ganze als Provokation gewertet wird und ein ´Jetzt-erst-recht´ nach
sich zieht. Auch die Geruchsproben-Angelegenheit trägt keinesfalls zur
Deeskalation bei, schon gar nicht, wenn man in diesem Zusammenhang das
Gefühl nicht los wird, angeflunkert und verarscht zu werden. Oder liege
ich falsch mit meiner Annahme, dass Geruchsproben nur zum Zwecke der
Aufklärung einer bereits begangenen Straftat und eben NICHT einfach mal
so vorsichtshalber genommen werden dürfen, weil einer der Stinker möglicherweise Stress in Heiligendamm machen könnte?
Insofern rege ich
an, dass Wolfgang Schäuble und die Gewerkschaft der Polizei sich erst
mal die Strafprozessordnung GENAU durchlesen, bevor sie in Kreuzberg
Unterhosen sammeln gehen. Notfalls stelle ich den betroffenen Linken in
Anbetracht der Vorkommnisse präventiv auch gerne meine Waschmaschine
oder meine weiße Weste zur Verfügung.
Ich finde es weiterhin auch ein bisschen kacke, wenn vor einem Neubau
mitten im Problemkiez eine riesige Tafel errichtet wird, auf der Lofts
zu Preisen zwischen 500.000 und 1,3 Millionen Euro angeboten werden.
Auch die Eröffnung einer McDonald´s-Filiale ist (nicht
nur) in diesen Tagen in Kreuzberg das falsche Signal.
Trotzdem: Die Leute, die in meinem Haus bzw. generell in Kreuzberg
wohnen, sind nicht der Feind. Ich kann natürlich nur für jene sprechen,
die ich persönlich kenne, aber zumindest die sind schon ganz bewusst
nach SO 36 gezogen. Nicht, weil da die Mieten so günstig sind und schon
gar nicht, weil sie sich unter den weniger gut verdienenden Menschen
potenter vorkommen, sondern weil sie sich im politisch links geprägten
Umfeld und inmitten des zwar nicht immer problemfreien, dennoch aber
aufregenden und inspirierenden Miteinanders von Ausländern, Punks und
Arbeitern wohl fühlen.
Die echten Arschlöcher haben doch keinen Bock auf
den ganzen Kram und hauen gepflegt nach Grunewald, Dahlem oder
Zehlendorf ab. Ende der 80er, Anfang der 90er gab es schon mal eine
Welle unter dem Motto ´Bonzen raus aus Kreuzberg´. Einem etwas
gehobeneren Restaurant kippte man wochenlang Gülle in die
Räumlichkeiten, bei einem vermeintlichen Nobelitaliener flog nachts
sogar mal eine Handgranate durchs Fenster.
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Ich werde das Gefühl nicht los, dass jetzt alles erneut ein bisschen aus
dem Ruder gelaufen ist. Irgendwelche infantilen
Pseudorevoluzzerkrawallos nehmen das überzogene Vorgehen der Staatsmacht
als Legitimation zum Zündeln und schaden damit der Linken ganz
erheblich. Wesentlich pfiffiger finde ich da zum Beispiel Aktionen wie
die Sitzblockadenübung neulich im Görlitzer Park, ganz getreu dem Motto
´Wie demonstriere ich effektiv, aber gewaltfrei?´.
Und außerdem: Wie zum Henker soll ich denn nach Heiligendamm kommen,
wenn meine Karre mir unterm Arsch abgefackelt wird? Mir wird doch immer
schlecht beim Zugfahren …