All dies macht deutlich: Die Fronten sind verhärtet, eigentlich ist die Diskussion schon jetzt einer vernünftigen Grundlage beraubt. Und mitten drin sind sie, diese Jugendlichen,
über
die alle reden.
Mit
ihnen redet kaum einer, aber alle haben eine Meinung. "Typisch", ist in Bezug auf sie das meistverwendete Wort. "Typisch, die wollen sich ja nicht integrieren!", hier, und "Typisch, weil sie keine Chance haben, sich zu integrieren!", dort. Von außen betrachtet, scheint den jungen Migranten alles egal zu sein, so egal, dass sie wegen eines läppischen MP3-Players in den Knast gehen bzw. abgeschoben werden würden, so egal, dass sie den Tod eines Unfall- bzw. die ausbleibende Rettung eines Brandopfers in Kauf nehmen würden. Andererseits: Wie sehr muss man mit dem Rücken zur Wand stehen, wie wenig muss man an seine Zukunft glauben, um so etwas zu tun?
Ich wohne seit vier Jahren direkt am Rande des in den letzten Tagen oft bemühten Wrangel-Problemkiezes. Persönlich hatte ich noch nie irgendwelche Probleme, und doch bin ich täglich Zeuge dessen, was möglicherweise die Lunte am Zündfass ist. Es gibt in diesem Bezirk, in dem der Ausländeranteil bei 40 Prozent und die Arbeitslosenquote bei über 30 Prozent liegen, kein Miteinander, sondern nur ein Nebeneinander. Bis vor kurzem herrschte tatsächlich so etwas wie ein Nichtangriffspakt, der jetzt, aus welchen Gründen auch immer, gebrochen wurde.
Im Wrangelkiez ist diese oft romantisierte Mischung aus Multikulti, alternativem Leben und Armut so plakativ wie sonst nirgends. Hier geht alles: Punks, die an der Ampel Autoscheiben wischen, Alkoholiker und Junkies, die vor dem Supermarkt rumhängen, türkische Familien, die im Park grillen, Bioläden, Handyläden, Gangs, Clubs, hippe Boutiquen, Anzugtypen auf dem Fahrrad, Obdachlose auf der Parkbank, aber kaum einer scheint mit dem anderen zu reden.
Ich wusste eigentlich immer, wo ich stehe. Jetzt allerdings muss ich ehrlich zugeben, dass ich verwirrt bin. Ich bin nicht der Feind, aber ich gehöre auch nirgendwo dazu. Ich sehe prügelnde Polizisten und randalierende Deutschtürken, und das ist mir nicht egal. Mich beschleicht ein Gefühl der Ohnmacht, und das finde ich nicht gut.