Hier gibt es keine Gay Clubs und keinen CSD. Dafür gibt es Kühe, Dorfkneipen und viel Gerede. Wie es ist, auf dem Bauernhof schwul zu sein
Von Christian Maier
Eigentlich hat Georg Brücker es immer gewusst. Schon in der Pubertät sah er lieber den Jungs nach. Fuhr er an den, See interessierten ihn nur die Männer. Doch wenn seine Freunde Witze über Schwule machten, lästerte er mit ihnen. Georg Brücker wuchs in den achtziger Jahren in einem kleinen österreichischen Dorf auf.
Am Anfang schob er sein Verlangen nach Männern noch auf die Pubertät und hoffte, dass die Lust eines Tages nachlassen würde. Mit 21 Jahren heiratete er sogar ein Mädchen aus dem Ort und zog mit ihr auf den Hof ihrer Eltern. Bauer zu sein, war sein Lebenstraum, für den er bereit war, seine Homosexualität zu verdrängen. An ein Coming Out war sowieso nicht zu denken.
In sechzehn Ehejahren zog der Landwirt drei Söhne groß und bewirtschaftete einen riesigen Hof. Erst, als kurz nach seinem 37. Geburtstag der Trieb immer stärker wurde, fuhr er das erste Mal nach München in eine Schwulensauna. Von diesem Tag schwärmt er noch heute: "Eine Woche lang gingen mir die 250 nackten Männer nicht mehr aus dem Kopf. Ich dachte, ich hätte das Paradies gesehen."
Diese Geschichte ist nicht ungewöhnlich. Auf dem Land in Österreich und der Schweiz verschweigen noch immer viele Männer ihre Homosexualität aus Angst, dass ihre Freunde sie nicht verstehen könnten. Oder dass der Vater einem schwulen Sohn den Hof nicht vererben würde. "Um kein Aufsehen zu erregen, führen die meisten schwulen Bauern sogar Scheinehen", sagt Roland Deuber. Der Schweizer ist Gründer der Organisation Swissgayfarmers und betreibt einen Stammtisch für schwule Landwirte. Von den sechzig Männern, die zu den monatlichen Treffen kommen, sind 45 mit einer Frau verheiratet.
Das Muster fast immer das gleiche: Erst heiraten die Bauern eine Frau, dann führen sie über Jahrzehnte eine lieblose Ehe, weil eine Scheidung einem öffentlichen Eingeständnis ihrer Homosexualität gleichkäme. Dabei gelinge es kaum einem von ihnen, auf ewig das ganze Dorf zu täuschen, sagt Deuber.
Georg Brücker hat es sechzehn Jahre lang geschafft. Zwar merkte seine Frau schon bald nach der Hochzeit, dass ihr Mann sie nicht wirklich begehrte, doch gesprochen hat sie darüber nur mit den Schwiegereltern. Eine Scheidung kam für die Familie nicht in Frage. Schließlich brauchte der Hof den tüchtigen Bauern, der wöchentlich bis zu hundert Stunden schuftete.
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Mit seiner Arbeit wollte Georg Brücker die Homosexualität niederringen. Wer sieben Tage in der Woche morgens um halb vier aufsteht und abends um acht aus dem Stall kommt, dem bleibt wenig Zeit für Affären. Die Mühe lohnt sich zumindest finanziell – Brücker konnte seine Wirtschaft von zehn auf vierzig Stück Vieh erweitern.
Doch je mehr Kühe im Stall waren, desto schlechter ging es dem Landwirt. Brücker war oft zornig, wegen Kleinigkeiten schimpfte er mit den Jungs. Auch spürte er ständig einen beklemmenden Druck. Als er sich in München in einen Mann verliebte, wollte er seinem Leben ein Ende setzen. Doch Georg Brücker überlebte den Selbstmordversuch – noch bevor er sich eine Überdosis verabreichen konnte, machten ihn der viele Schnaps und die Tabletten ohnmächtig.