Drei Künstler aus Österreich haben einen Reiseführer für ein Belgrader Elendsviertel geschrieben. Ein Interview mit zwei der Autoren
Fragen von Stefan Kesselhut
Nahe des Flusses Sava, eingeklemmt zwischen einer Autobahnbrücke und den Bahngleisen nach Zagreb, liegt das Viertel der Kartonsammler.
Beograd Gazela
, eine Siedlung aus Baracken und Hütten. Keine festen Straßen, keine Wasseranschlüsse, keine sanitären Anlagen und der Strom wird illegal gezapft.
Alle Bewohner sind Roma und während der Kriege auf dem Balkan hierher geflohen.
Tausende Menschen fahren täglich vorbei an Gazela, in die Siedlung hinein geht von ihnen fast niemand. Die Siedlung ist ein blinder Fleck in der Mitte der serbischen Hauptstadt.
Die Künstler Lorenz Aggermann, Can Gülcü und Eduard Freudmann wollen das ändern und haben das Buch
Beograd Gazela
veröffentlicht, einen Reiseführer durch den Slum. Komplett mit Anfahrtsweg und praktischen Tipps. So wollen sie dort Wissen schaffen, wo bisher nur Vorurteile sind. Wie kann das gelingen?
Zuender: Es gibt viele Elendsviertel, auch in Europa. Warum geht es in Ihrem Projekt um die Siedlung
Gazela
in Belgrad?
Eduard Freudmann:
Als wir 2005 an einer Ausstellung in Belgrad teilgenommen haben, fiel uns auf, wie präsent die Roma aus den Elendsvierteln im Stadtbild sind. Außerdem ist Gazela die exponierteste Armensiedlung in Belgrad, jeder, der in die Stadt fährt, hat Gazela gesehen. Zusätzlich inspiriert hat uns das Projekt „Under the Bridge“ der Künstlers Alexander Nikolic, Renate Rädle und Vladan Jeremic, das unter anderem in Gazela stattfand.
Zuender: Wie haben Sie sich vorbereitet auf den Aufenthalt in der Siedlung?
Can Gülcü:
Zunächst haben wir versucht, Informationen zu sammeln, über Elendssiedlungen in Belgrad und die Stellung der Roma in der serbischen Gesellschaft. Im Sommer 2005 sind wir erstmals nach Belgrad gefahren, um Repräsentanten von Hilfsorganisationen zu treffen. Die Informationen, die wir da bekommen haben, waren aber nicht viel wert. Wir hörten die bekannten rassistischen Vorurteile. Auch Literatur zu den Elendssiedlungen in Belgrad gab es kaum, deshalb sind wir dann selbst in die Siedlungen gegangen.
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Eduard Freudmann:
Wir haben auch mit Wissenschaftlern und Politikern gesprochen. Die warnten uns, es sei gefährlich in der Siedlung, wir hätten einiges zu befürchten. Diese Warnungen haben sich als unbegründet erwiesen.
Zuender: Gab es Konflikte mit Bewohnern, als Sie in die Siedlung gekommen sind?
Can Gülcü:
Nein. Die Bewohner haben uns herzlich aufgenommen. Wir haben versucht, sie nicht unter Druck zu setzen und ihnen Bedenkzeit gegeben, bevor sie mit uns reden.
Eduard Freudmann:
Im Gegensatz zu vielen serbischen Journalisten sind wir betont höflich auf die Bewohner der Siedlung zugegangen. Wir wollten nicht einfach nur schnell irgendein Statement aus Ihnen herauslocken.