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Armut

"Draußen sind wir alle Zigeuner"

TEIL 3

Zuender: Ihre Beobachtungen sind nur eine Momentaufnahme der Situation in Gazela. Was ist seitdem passiert?

Can Gülcü: Die Siedlung verändert sich ständig. Seit kurzem gibt es eine Wasserstelle in der Siedlung, was natürlich die Lebensumstände erheblich verbessert.

Eduard Freudmann: In diesem Frühjahr sollten die Bewohner von Gazela umgesiedelt werden. Die Aktion wurde abgesagt, wie andere zuvor. Trotz dieser negativen Erfahrungen verbinden die Menschen in Gazela immer wieder große Hoffnungen mit solchen Vorhaben. Und das, obwohl nie klar ist, was die Behörden mit ihnen vorhaben. Da es kaum offizielle und vertrauenswürdige Informationen gibt, entstehen sofort Gerüchte: Wer darf mit, wer nicht? Wo geht es hin? Was erwartet uns dort?

Zuender: Ein Pendeln also zwischen Hoffnung und Angst.

Eduard Freudmann: Ständige Angst vor allem um den Lebensraum. Denn es gibt keine Garantie, dass bei einer Umsiedlung jeder Bewohner ein neues Zuhause bekommt. Das prägt sehr stark den flüchtigen Charakter von Gazela und wirkt sich zum Beispiel auch auf die Bauweise der Behausungen aus. Wenn ich davon ausgehen muss, dass jederzeit ein Bulldozer die Hütte niederreißen könnte, investiere ich natürlich so wenig Arbeit und Geld wie nötig.

Eduard Freudmann: Die erste Umsiedlung sollte an den äußersten Rand Belgrads führen, ist aber geplatzt, da es Proteste von Anwohnern gab. Bei der bis vor kurzem geplanten neuen Umsiedlung wurde deshalb der Zielort geheim gehalten. Wahrscheinlich ist aber ein Ort außerhalb der Stadtgrenzen Belgrads vorgesehen.

Can Gülcü: Mit solch einer Umsiedlung an die Peripherie der Stadt würde man den Bewohnern die einzige wirtschaftliche Grundlage rauben, die sie haben. Zurzeit sammeln die meisten Altstoffe und verkaufen diese an Großhändler und in den umliegenden Stadtteilen. Draußen in der Pampa geht das nicht.

Zuender: Ist für die Bewohner von Gazela alles außerhalb der Siedlung ein Raum der Angst?

Can Gülcü: In der Umgebung von Gazela gab es mehrere gewälttätige Angriffe. Deshalb gehen die Bewohner ab einer bestimmten Uhrzeit nicht mehr aus der Siedlung heraus. Aber es gab auch schon Angriffe innerhalb des Siedlungsgeländes. Banden sind eingedrungen, haben Menschen geschlagen und Häuser demoliert.

Zuender: Werden solche rassistischen Taten bestraft?

Eduard Freudmann: Schwierig. Für die Behörden existieren die meisten Bewohner von Gazela gar nicht, da sie nicht einmal die wichtigsten Dokumente besitzen: Einen Ausweis, Meldebestätigung oder Reisepass. Ohne diese Dokumente außerhalb der Siedlung zu leben oder zu arbeiten, ist unmöglich. Doch auch mit den wichtigsten Dokumenten ausgestattet gelingt es kaum jemandem, das Stigma Elendssiedlung jemals abzulegen.

Eduard Freudmann: Dazu kommt wieder Angst, nämlich vor der Bürokratie, der Verwaltung, der Polizei. Beide Ängste haben den selben Ursprung: Rassismus.

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