So viel Gleichberechtigung war nie: Frauen dürfen arbeiten, sie können Bundeskanzlerin werden oder abtreiben. Trotzdem will Sonja Eismann mehr erreichen. Ihr Programm nennt sie Popfeminismus.
Aufgezeichnet von Stefanie Büther
Seit den heißen Siebzigerjahren scheint in punkto Gleichberechtigung viel erreicht worden zu sein: Frauen dürfen arbeiten, sie können Bundeskanzlerin werden oder abtreiben. Aber war das schon alles? Wie viel Feminismus brauchen wir eigentlich noch? Im Buch "Hot Topic. Popfeminismus heute" berichten Frauen von feministischen Lebensentwürfen in Bands, beim Musikhören, im Fußball-Stadion oder beim Fernsehen. Herausgeberin Sonja Eismann nennt das "Popfeminismus".
Politik
Unsere Generation hat ein Misstrauen gegenüber großen Organisationen. Wie viele Leute sind heute noch in der Gewerkschaft? Bei welcher Partei würde man sich wirklich ohne Bedenken engagieren wollen? Mir fällt keine ein.
Mit meinem Buch wollte ich keine feste feministische Agenda setzen oder ein Parteiprogramm aufstellen, sondern eine gewisse Denkweise repräsentieren. Es ist eben nicht Konsens, dass Feminismus inzwischen überholt ist. Eher haben sich die Bereiche verschoben, in denen feministisches Denken heute für uns wichtig ist. In dem Buch gibt es politische Texte im engeren Sinn, zu Themen wie Abtreibung, Anorexie oder Verhütung. Wenn ich von Politik rede, denke ich aber immer auch an die Kultur, die uns jeden Tag umgibt. Unser Alltag ist stark von Popkultur geprägt: wir sehen Filme, lesen Zeitschriften, hören Musik oder gehen in Clubs. Ich wollte zeigen, dass Frauen hier stark vertreten sind, dass sie Musik machen, Comics zeichnen, Fußball gucken. Es ist nicht so, dass die Jungs das alleine unter sich ausmachen.
Mädchen
Viele Frauen, die heute in Bands spielen oder Fanzines veröffentlichen, betonen in ihren Namen das Wort "Girl" oder "Mädchen". Das tun sie, weil Mädchenkultur gesellschaftlich oft abgewertet wird. Wer zum Beispiel eine Platte schlecht machen möchte, bezeichnet sie als "Mädchenmusik". Die Feministinnen der dritten Welle wollen dazu ein Gegengewicht setzen, sie holen sich den Begriff wieder zurück, um ihn positiv aufzuladen.
Gleichzeitig beschreibt Mädchen auch die veränderte Lebensrealität vieler junger Frauen: Die sind mit Ende zwanzig noch nicht verheiratet mit Kindern, sondern gehen immer noch auf Konzerte, haben Dates und leben wie Jugendliche. Letztlich muss jede für sich entscheiden, wie lange sie noch ein Mädchen sein will. Manchmal findet man sich darin nicht wieder, weil es etwas sehr Verniedlichendes hat.
Popfeminismus
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Popfeminismus ist ein Begriff, der noch nicht wirklich mit Inhalt
gefüllt worden ist. Er hängt ein bisschen luftleer in der Gegend – wie
ein Versprechen, das noch nicht eingelöst wurde. Viele Leute aus der
klassischen Linken finden, dass mit diesem Begriff eine gewisse
Sinnentleerung einhergeht; und dass er sich nicht dafür eignet, um zum
Beispiel Kapitalismuskritik zu üben. Auf der anderen Seite hängen viele
Leute sich den Begriff gerne um. Sie haben keine Berührungsängste
damit, weil sich Popfeminismus so schön fluffig anfühlt. Pop, das hat
etwas Unbedrohliches, keine harten Linien.
Für mich ist
Popfeminismus die Kritik von Popkultur mit einem feministischen
Instrumentarium. Meine Generation ist sehr stark mit Popkultur
sozialisiert worden. Das heißt aber nicht, dass diese Kultur kein
streitbares Feld wäre. Popmusik, Fernsehen oder Werbung müssen genauso
mit feministischen Mitteln kritisiert werden wie Gesetze.
Feminismus heute
Eigentlich sind Frauen in den westlichen Industrienationen gleichgestellt – nach außen hin und vor dem Gesetz. Zum Beispiel gibt es keine niedriger bezahlten
Frauenlohngruppen
mehr. Das Thema Gleichberechtigung ist heute in vielen Bereichen selbstverständlicher geworden. Wir haben sogar eine Frau als Bundeskanzlerin.
Dadurch haben jüngere Frauen oft das Gefühl, sie bräuchten gar nicht mehr zu kämpfen. Feminismus interessiert sie nicht, weil sie denken, alles sei möglich. Aber nur weil eine Frau an der Spitze steht, heißt das noch lange nicht, dass an der Basis alles glatt geht. Leitende Positionen werden immer noch viel häufiger von Männern besetzt. Und es ist immer noch das Problem der Frau, dass sie Beruf, Kinder und Hausarbeit vereinbaren muss – diese Fragen stellen sich für Männer einfach nicht. Gerade in Deutschland, wo es so wenige Kinderbetreuungsplätze gibt, wird das zum unlösbaren Problem. Trotzdem wird den Frauen suggeriert, sie seien faul und wollten sich nicht vermehren. Wie lange soll es denn noch dauern, bis sich das ändert?