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Russland

Die richtige Wahl

Russland kurz vor den Parlamentswahlen: Unterwegs in der Provinz mit einem Team von Agitatoren, die der Bevölkerung sagen, was wichtig ist: Putin wählen.

„Wie heißt das Instrument für das Wachstum unseres bedeutenden Landes?“, fragt Denis. Das junge Mädchen, das aufstehen muss, um zu antworten, lächelt verzweifelt. Denis steht vor einer Gruppe von etwa 40 Studierenden und wartet mit strengem Blick auf die richtige Antwort. „Der Sieg Russlands - vielleicht?“ fragt sie schüchtern. Die anderen kichern, Denis verzieht spöttisch den Mund. Die Befragte hat den Wahlkampfslogan der Partei Einiges Russland (ER) durcheinander gebracht, der korrekt lautet: „Putins Plan: Der Sieg Russlands!“.

Denis und Lena haben es nicht leicht in Ulan Ude, der Hauptstadt der Republik Burjatien, 6.000 Kilometer von Moskau entfernt. „Die sind hier ziemlich bequem und wollen nicht mitmachen“, beschwert sich der forsche 20-jährige über den fehlenden Enthusiasmus der burjatischen Jugendlichen. Denis ist „Ideologe“ der Jugend-Bewegung Naschi , die drei Jahre ältere Lena „Kommissar“, so steht es auf ihren Visitenkarten. Die Moskauer Zentrale der jungen Putin-Gläubigen hat sie wenige Wochen vor den Duma-Wahlen nach Burjatien beordert. In der buddhistisch geprägten Republik östlich des Baikal gab es bislang keine der aggressiven Aktionen der „Unsrigen“, weil sich keine Aktivisten finden ließen. Das sollen Lena und Denis ändern. Ein Fahnenaufmarsch auf dem zentralen Platz der Räte, in dessen Mitte nach wie vor der größte Leninkopf der Welt thront, war der Anfang. An diesem Abend haben Denis und Lena die kleine Gruppe Studierender zusammen gerufen, um sie auf ihre Aufgabe vorzubereiten. Als „Brigadiere“ sollen sie in Universitäten dazu aufrufen, an den Wahlen teilzunehmen. Da Naschi eine Bewegung und keine politische Partei ist, ist der Aufruf oberflächlich neutral gehalten. Gleichwohl macht er unmissverständlich klar, wo das Kreuzchen zu setzen ist.

Die professionell geschulten Aktivisten sind unzufrieden mit dem Wissen ihrer neuen Sympathisanten. Wer diskutieren möchte, findet sich schnell vor der Tür wieder. Roman war aus Neugierde gekommen und fliegt gleich bei der ersten Zwischenfrage aus dem Saal: „Wenn du hier nicht mit allem einverstanden bist, bist du gleich unerwünscht. Das gefällt mir nicht“, sagt er draußen und geht nach Hause. Die anderen lassen sich noch bis in den späten Abend von Denis instruieren.

Wer hier den Arbeitsplatz behalten möchte, tut gut daran, mit den Machthabenden einverstanden zu sein. Bair, ein sehr korrekt aussehender junger Mann im Nadelstreifenanzug, ist bei der „Jungen Garde“, der Jugendorganisation von Einiges Russland aktiv. Während einer Wahlkampfveranstaltung der Partei in der staatlichen Universität sagt der 23-jährige ganz nebenbei, wie seine Mitgliedschaft zustande kam: „Ich arbeite bei der Stadtverwaltung in der Drogenprävention, und mein Chef hat gleich gesagt, ich werde dort nicht lange arbeiten können, wenn ich nicht der Jungen Garde beitrete.“

Diese Erfahrung teilt Bair mit vielen anderen Menschen in Ulan Ude. Lasar Bartunaew, Kandidat der hiesigen Jabloko -Partei für die zeitgleich stattfindenden kommunalen Bürgermeisterwahlen, kann viele Beispiele für diese alltägliche Praxis nennen. Er zeigt Kopien von Listen, in die sich die Arbeiter in den Betrieben mit Namen und Adressen eintragen und unterschreiben müssen, dass sie Bürgermeister Gennadi Ajdaew (ER) unterstützen werden. „Andernfalls, so deuten ihnen die Vorgesetzten an, könnten sie ihren Arbeitsplatz gefährden“, erzählt Bartunaew. Diese wiederum seien dem Druck der Behörden ausgesetzt: „Das ist nicht wie zu Sowjetzeiten, das ist noch schlimmer!“

Im kleinen Büro der Jabloko -Partei herrscht kurz vor den Wahlen große Aufregung. Die Wahlkommission hat den Antrag zur Kandidatur Bartunaews wegen eines fehlenden Wortes abgelehnt. Im Korridor diskutiert die Parteispitze mit ihrem Juristen, sie will die Entscheidung anfechten. Bartunaew selbst sieht aber nur wenige Chancen auf Erfolg: „Die stellen die Popularität von Einiges Russland künstlich her, denn diese Methoden lassen keine freie Meinungsbildung zu. Die Menschen setzen den Staat mit der Partei und dem Präsidenten gleich, weil sie nichts anderes mehr kennen.“ Besonders gut lässt sich dies in den Dörfern beobachten. Während in Ulan Ude mitunter auch Wahlkampfplakate anderer Parteien zu sehen sind, scheint auf dem Land einzig Einiges Russland aktiv zu sein. „Ich habe meine Tante auf dem Dorf gebeten, Material zu verteilen. Sie sagte, sie könne das leider nicht tun, weil sie sonst ihre Arbeit bei der Verwaltung aufs Spiel setzt“, erzählt der 28-jährige Dorjo, der dem Jabloko -Kandidaten assistiert und gleichzeitig Initiator der oppositionellen Bewegung Oborona in Ulan Ude ist. Oborona – „Verteidigung“ - ist eine russlandweite Koalition, die sich hauptsächlich aus jungen Aktivisten der liberalen Parteien Jabloko , SPS und der Studentenbewegung Iduschtschije bes Putina (Die, die ohne Putin gehen) zusammensetzt. Oleg Koslowski, Kopf der Bewegung in Moskau, sitzt derzeit in Haft, er demonstrierte wie der Oppositionelle Garri Kasparow am vergangenen Sonntag gegen die Regierung.

Auch die meisten Regime-Gegner in Ulan Ude haben diese Erfahrung bereits hinter sich. Andrej, 20-jähriger Ökonomie-Student, haben die Milizionäre nach einer Kundgebung im Frühjahr aus der Vorlesung geholt, um ihn zu verhören. Eigentlich hatte er geplant, an diesem Sonntag zu Zettel verteilen, auf denen steht: „Sie lügen!“ Zu sehen ist Präsident Putin auf einem Fernsehbildschirm. Gemeint sind die Sender in staatlicher Hand, das sind mittlerweile fast alle in Russland. Heute aber sind viele Menschen unterwegs in der verschneiten Fußgängerzone. Junge Frauen verteilen eifrig Wahlwerbung für Einiges Russland und die Miliz patrouilliert in großer Zahl. Andrej und seine Freunde wagen sich nicht, ihr heikles Material zu verteilen: „Wir verschieben die Aktion“, beschließt er.

Burjatisch und meist männlich sind die, die in Ulan Ude ohne Putin gehen. Unter ihnen ist der Widerstand gegen das System, das der Kreml als „souveräne Demokratie“ bezeichnet, am größten. Seit dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums hat sich das burjatische Selbstbewusstsein für die eigene Kultur und Sprache neu entwickelt. Insbesondere die Jungen nehmen es Putin übel, dass er der Republik im Frühjahr als neuen Präsidenten den ortsfremden Wjatscheslaw Nagowizin aus Tomsk vor die Nase gesetzt hat.

Natascha ist in jeder Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung in Ulan Ude. Sie ist Juristin, Punksängerin und kandidiert als Duma-Abgeordnete für die Jabloko-Partei. In einem Punkt ist sich die 29-jährige mit den Naschi -Ideologen einig. Auch sie hält die Mehrheit der örtlichen Jugend für lethargisch: „Die meisten Studenten hier wollen in Ruhe gelassen werden. Die merken gar nicht, wie sehr unsere Freiheit in den letzten Jahren eingeschränkt wurde und wie wenig Platz es noch gibt für die, die anders denken.“ Mit ihrer Gruppe Abort Mosga („Abtreibung des Gehirns“) erregt sie Aufsehen in der beschaulichen Stadt, die sonst so gut wie keine Untergrundkultur kennt. Ihre Wahlkampfplakate sind nicht eben als seriös zu bezeichnen, dafür ist der Ausschnitt viel zu tief. Natascha hat nicht den Hauch einer Chance, in das russische Parlament einzuziehen. Ein bisschen Galgenhumor hebt da die Stimmung. „Ich bin Nihilistin und verehre Schopenhauer und Nietzsche. Das heißt für mich, dass ich Autoritäten ablehne und für eine freie Gesellschaft eintrete“, proklamiert sie. Dazu passt auch der Wahlkampfslogan: „Gegen alle? Wähle Jabloko!“. Die kleine, liberale Partei versucht, Protestwähler zu locken. Aber gegen die riesigen Plakate, auf denen „Putins Plan: Der Sieg Russlands!“ zu lesen ist und die in Burjatien allgegenwärtig sind, ist sehr schwer anzukommen.

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