Die Rosenrevolution in Georgien brachte vor vier Jahren den jungen Präsidenten Michail Saakaschwili an die Macht. Der versprach, sein Land in den Westen zu führen. Jetzt werden die Menschen ungeduldig.
Von Nadia Pantel
Tiflis im Herbst 2007. In den Abendnachrichten ein Genremix aus Politthriller und schwarzer Komödie: ein unter mysteriösen Umständen verstorbener Premierminister, der angeblich einem undichten Gasofen zum Opfer fiel und ein ehemaliger Minister, der Mordvorwürfe erhebt und zwei Tage später selbst ins Gefängnis wandert. Dann ein Präsident, der seinen Bürgern Folklore bietet statt Transparenz. Und im Hintergrund zwei Weltmächte, welche die Handlung in die Zeit des kalten Krieges verlegen. Beinahe möchte man sich zurücklehnen und vor der Kulisse des Kaukasus, georgischen Wein schlürfend, auf den Showdown warten. Aber Georgien ist kein Filmset und die Georgier sind kein Häuflein geduldiger Statisten.
Vor vier Jahren, im November 2003, haben sie ihren damaligen Präsidenten Eduard Schewardnadse nach einer gefälschten Wahl zum Rücktritt gezwungen. Das Zeichen ihrer friedlichen Revolution war eine Rose. Schewardnadse hinterließ einen undurchschaubaren Dschungel der Korruption und ein Land, das mit zwei abtrünnigen Republiken (Süd-Ossetien und Abchasien) und dem wieder erstarkenden Russland unter Wladimir Putin zu kämpfen hatte.
Nach ihm kam der junge Michail Saakaschwili. Er hatte Charme, das Vertrauen der Wähler und war gerade vom Studium in Washington D.C. heimgekehrt. Ein reiches, westlich orientiertes Land versprach er seinem Volk. Aber Georgien liegt nicht im Westen, sondern irgendwo zwischen Europa und dem Mittleren Osten. Und es ist arm.
Das neue Georgien beschränkt sich daher nur zu oft auf Symbole: Unzählige Springbrunnen, goldene Statuen und Lichtorgeln verwandeln das Land nach außen in ein glitzerndes Disneyworld, zugleich müssen Rentner mit 40 Lari im Monat überleben – kaum genug, um davon jeden Tag Brot zu kaufen. Dafür heißt die Schnellstraße zum Flughafen jetzt George W. Bush-Avenue. Gesäumt wird sie von Plakaten, die einen strahlenden Saakaschwili beim Händedruck mit dem amerikanischen Präsidenten zeigen.
Aus Washington fließen Millionen in die Ausbildung georgischer Soldaten und die georgische Armee stellt das drittstärkste Kontingent im Irak. Die Partnerschaft garantiert den USA einen von Russland unabhängigen Zugang zum kaspischen Öl und einen strategisch wichtigen Stützpunkt – nach Iran sind es keine 300 Kilometer Luftlinie. Die Beziehungen zu Russland hingegen beschränken sich auf beiderseitige Provokationen.
Der 22-jährige Shota lehnt an dem Minibus, der ihn, sobald sich genug zahlende Mitfahrer gefunden haben, von Tiflis in seine Heimatstadt Akhaltsikhe an der türkischen Grenze bringen wird. „Glaserei Buron. Glas und mehr“ steht auf dem Bus. Deutsche Busse kommen vor der Verschrottung in den Kaukasus. Hier dürfen sie auf ihre alten Tage noch Kühe und Schweine von der Straße rammen.
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„Bald ist Georgien in der Europäischen Union“, sagt Shota in gebrochenem Russisch. Wie zur Bestätigung knistert das magische Wort zwischen allerlei Kehllauten aus dem Autoradio: Europa. Shotas Vater fährt einmal im Jahr für drei Monate nach Italien und kommt mit einer Wagenladung voller Möbel zurück, die Vater und Sohn dann gemeinsam verkaufen.
Die georgische Wirtschaft ist vollständig vom Import abhängig. Abgesehen von Obst und Gemüse, das die Bauern in alten Farbeimern allmorgendlich in die Städte schleppen, gibt es fast nichts zu kaufen, das in Georgien produziert wurde. Die georgischen Schnörkel auf den Milchpackungen im Supermarkt verbergen nur notdürftig, dass der Inhalt aus russischem Milchpulver angerührt wird.
Der Minibus setzt sich in Bewegung und Shota findet seinen Optimismus bestätigt: Die Straße ist frisch geteert. Nach einer Stunde Fahrt hat er genug Vertrauen gefasst und erzählt von dem Schatz, der sich in dem Paket auf seinem Arm verbirgt. Vor ein paar Monaten besuchte Saakaschwili den Chor, in dem Shota singt, und versprach jedem einzelnen Sänger ein neues Kostüm. Heute hat Shota seins vom Schneider abgeholt.
Für Mariam passt die Anekdote in das Bild, das sie von ihrer Regierung hat. Staatspräsident Saakaschwili inszeniert sich als Macher und Gönner, der einen Großteil seiner Energie in die Fassade investiert. Mariam ist 24 Jahre alt und hat in diesem Jahr ihr Architekturstudium beendet. Vor vier Jahren stand sie Tag für Tag mit ihren Kommilitonen auf der Straße, eine Rose in der Hand. In wenigen Tagen wird sie wieder auf die Straße gehen. Dieses Mal für die Opposition.