Die Frauen von Machsom Watch überwachen die Zustände an den israelischen Checkpoints im Westjordanland. Sie können sich das leisten, weil sie selbst Israelis sind. Ein Interview mit der Gründerin Roni Hammermann.
Fragen von Frauke Schnoor
Sie gehen als Zivilistinnen an die Checkpoints. Ist das nicht gefährlich?
Die Soldaten sind gefährdet, weil sie bewaffnet sind und weil sie Uniformen tragen. Wir nicht, weil wir wie die Palästinenser unbewaffnet sind. Die Frauen von Machsom Watch sind nie in irgendeiner Weise von den Palästinensern attackiert worden.
Die einzigen, die uns je angegriffen haben, waren israelische Siedlerfrauen in der Gegend von Nablus. Dort gibt es viele ideologisierte Siedler. Für sie sind wir der schlimmste Feind. Wir sind auch Frauen, wir sind auch Israelis, wir sind auch Jüdinnen, aber wir sind gegen die Okkupation und sind gegen die Checkpoints. Und für sie sind die Checkpoints sind schließlich das, was ihnen überhaupt ermöglicht, in der Westbank zu leben.
Haben sie denn Verständnis für solche Reaktionen?
Nicht im Geringsten. Wir sind absolut gegen die Siedlungen. Wir glauben, dass sie das Grundübel der Okkupation sind. Dass die Regierung die Siedlungen unterstützt und beschützt, ist eine der Hauptursachen dafür, dass Israel sich aus dem Westjordanland nicht zurückzieht. Das ist die Ursünde, die die israelischen Regierungen – und zwar alle - begangen haben.
Was bedeuten die Checkpoints im Alltag der Palästinenser?
Es gibt keinen Palästinenser, der nicht im Laufe des Tages irgendeinen Checkpoint passieren muss. Wer das Haus verlässt, weiß nie, ob er sein Ziel erreicht. Man weiß nicht, wie lange man an den Checkpoints aufgehalten wird oder ob sie gar für ein, zwei Stunden geschlossen werden. Kein Krankenhaus, keine Schule kann funktionieren, wenn die Lehrer oder die Ärzte nicht sicher zu ihrem Dienst kommen können.
Vergangene Woche sind die Grenzübergänge zu Israel wegen erhöhter Terrorgefahr gesperrt worden. Wie ist die Situation jetzt?
Sie sind nach wie vor gesperrt. Bis zum Ende unserer Feiertage wird niemand über die Grenze gelassen. Bei solchen Sperrungen verfallen alle Genehmigungen.
Das betrifft auch Menschen, die ins Krankenhaus müssen. Was machen sie, um diese Leute über die Grenze zu bekommen?
Wir sprechen mit Vertretern der Ziviladministration an den Checkpoints. Meistens haben die Menschen ja die notwendigen Genehmigungen. Es wäre kein Problem, solche Leute zu untersuchen. Wir versuchen die Offiziere von der Dringlichkeit der Fälle zu überzeugen. Mit einiger Anstrengung bekommen wir so oft ein einige Menschen durch. Aber dahinter warten hunderte.
Die Sicherheitsvorkehrungen dienen dem Schutz der israelischen Bevölkerung vor Selbstmordattentätern. Sind sie nicht gerechtfertigt?
Sicherheitsdurchsuchungen von Personen sind gerechtfertigt. Aber es ist falsch, dass die Palästinenser bestimmte Strassen überhaupt nicht befahren dürfen und dass 16 bis 30jährige Männer grundsätzlich keine Genehmigungen bekommen, nach Israel einzureisen. Solche Beschränkungen dienen nicht der Sicherheit. Sie sollen der Bevölkerung zeigen: Ihr könnt nicht machen, was ihr wollt. Was an den Checkpoints passiert, das erzeugt Hass. Kinder müssen mit ansehen, wie ihre Eltern erniedrigt werden. Diese Behandlung führt dazu, dass diese Kinder morgen unter Umständen Terroristen werden.
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Wie hat sich die Situation in den letzten Jahren verändert?
Heute gibt es sehr viel mehr Checkpoints als früher. Allein in den letzten zwei Monaten sind 40 neu aufgebaut worden - obwohl die Armee davon spricht, dass sie Checkpoints abbaut. Der Radius des Einzelnen wird immer kleiner. An den Grenzen jetzt die Terminals, das sind moderne Hightechlabyrinthe. Die Soldaten sitzen hinter undurchsichtigen, kugelsicheren Fenstern. Dort gibt es keine Möglichkeit mehr, mit den Soldaten zu sprechen, denn der Soldat hat zwar einen selbst hat einen Lautsprecher, hört aber nicht, was sein Gegenüber sagt. In der Praxis heißt das, entweder man hat die richtige Genehmigung oder nicht. Und wenn nicht, muss man sich umdrehen und zurückgehen.
Wie können sie da noch moderieren?
Hauptsächlich übers Telefon. Wir versuchen zu erreichen, dass der zuständige Offizier zum elektronischen Drehkreuz kommt. Wenn Palästinenser darum bitten, passiert nichts. Wir haben den Vorteil unserer israelischen Staatsbürgerschaft.
Warum können nur Frauen Mitglied bei Machsom Watch werden?
Männer sind bis 50 Reservisten in der Armee. Frauen haben nach dem Militärdienst meist nichts mehr mit dem Militär zu tun. Dazu kommt, dass wir als israelische Frauen ganz anders mit den Soldaten sprechen können als die Palästinenser. Wir sind auch Mütter, Großmütter oder Schwestern. Wir können uns Sachen erlauben, für die ein Palästinenser sofort bestraft würde. Wenn ein Palästinenser vor dem Soldat auf die Uhr schaut und sagt, das habe lang gedauert, wird zur Strafe ans Ende der Wartereihe zurückgeschickt. Wir können Konfrontationen oft einfach durch unsere Anwesenheit mildern.
Haben sie Verständnis für das Verhalten der Soldaten?
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Die Armee ist eine Volksarmee. Alle Bevölkerungsschichten sind dort vertreten. Das sind Menschen, die wie unsere Söhne und Brüder und Väter in der Armee dienen. Wir wissen, dass das ein unheimlich schwerer und entnervender Dienst ist. Aber wir haben kein Verständnis, wenn sie sich wie Gott benehmen.
Sie wollen auch auf die Regierung einwirken. Wie?
Wir schreiben Monatsberichte und Jahresberichte schicken sie an das israelische Parlament, die Abgeordneten, an die Polizei, die Armee und Journalisten. Wir haben eine kleine Lobby von zwei Parlamentsabgeordneten, an die wir uns wenden können. Wir versuchen so oft wie möglich, im Radio aufzutreten, und wir werden auch zu Fernsehdiskussionen eingeladen. Wir haben mittlerweile einen ganz guten Ruf.
Welche Kritik wird ihnen entgegen gebracht?
Uns wird vorgeworfen, wir seien Landesverräter. Wir würden die Soldaten daran hindern, ihre patriotische Pflicht zu erfüllen. Wenn irgendjemand ein Attentat verübt, wird manchmal gesagt, das sei nur passiert, weil "die Machsom-Watch-Frauen" die Soldaten in ihrer Arbeit behindert hätten. Aber gerade bei den höheren Offizieren treffen wir auf gewisses Verständnis. Sie wollen den guten Ruf der Armee nicht zerstört sehen und legen deshalb auf unsere Meinung wert.
Verteidigungsminister Ehud Barak hat letzte Woche mit einem Militärschlag gegen Gaza gedroht. Das würde einer Wiederbesetzung des Gazastreifens gleich kommen. Wie stehen Sie dazu?
Gaza ist nach dem Rückzug Israels besetzt geblieben, von außen. Kein Medikament, keine Lebensmittel gelangen nach Gaza, ohne dass Israel dem zustimmt. Elektrizität und Wasser können wir einfach absperren. Es kann kein Mensch rein und raus, wenn Israel es nicht will.
Wenn jetzt das Militär wieder nach Gaza gehen würde, wäre das Wahnsinn, wenn man bedenkt, dass die Zivilbevölkerung von Gaza schon seit Monaten in einer sehr prekären Situation lebt.