Was ist lustig? Und wie vermeidet man Morddrohungen? Die internationale Zeichner-Szene sucht nach Antworten
Von Elise Graton
Im September des Jahres 2005 veröffentlichte die dänische Tageszeitung
Jyllands-Posten
zwölf Karikaturen unter dem Titel
Das Gesicht Mohammeds
. Was darauf folgte, ist noch gut in Erinnerung: Islamische Staaten zogen ihre Botschafter aus Dänemark ab und riefen zum Boykott dänischer Produkte auf. In Lybien, dem Libanon, Gaza und Indonesien wurden Botschaften angegriffen, Dänen mussten diese Länder verlassen. Chaos und Wut waren die Folge.
Danach wurde viel über Pressefreiheit und ihre moralischen Grenzen diskutiert, über politische Toleranz und kulturelle Unterschiede. Verstehen Muslime eigentlich keinen Spaß? Müssen im Namen der Pressefreiheit auch rassistische oder frauenfeindliche Karikaturen geduldet werden? Wo beginnt Zensur? Die Debatte ist längst nicht abgeschlossen.
Derzeit führen sie diejenigen, die zwischen den Fronten stehen: Die Karikaturisten selbst. Austragungsort ist die Wanderausstellung
Cartooning for Peace
(Zeichnen für den Frieden). Eingeweiht wurde sie im vergangenen Oktober im New Yorker Hauptquartier der Vereinten Nationen, die das Projekt auch angestoßen haben. Danach folgten Genf und Paris, jetzt ist die Ausstellung in Brüssel zu sehen. Jede neue Station wird mit einer öffentlichen Debatte eröffnet, bei der sich die Zeichner über ihre Arbeit und ihre Verantwortung als Polemiker austauschen. „Ist die Pressezeichnung in Gefahr?“ lautete die Frage der vergangenen Diskussion in Paris.
Um den Tisch saßen die Zeichner Ranan Lurie (USA), Ali Dilem (Algerien), Michel Kichka (Israel), Khalil Abou Arafeh (Palestina), Ramize Erer (Türkei), Carsten Graabaek (Dänemark), Cabu, Jul, Pierre Wiaz und Jean Plantu (Frankreich). Sie alle hatten einiges zum Thema zu sagen. Ali Dilem zum Beispiel, der seit 1996 für die algerische Tageszeitung
Liberté
zeichnet, hat aufgrund seiner Karikaturen bereits sechs Monate im Gefängnis gesessen. Immer noch wird er regelmäßig vor Gericht gestellt – im vergangenen Jahr allein 26 Mal. Einmal, weil er seinen Präsidenten Abd al-Aziz Bouteflika auf einem hohen Pult zeichnete und ihm die Worte „Ich bin kein Diktator“ in den Mund legte. Darunter steht ein Mann, der sagt: „Und bescheiden ist er auch noch“.
Im Vergleich dazu arbeite er unter privilegierten Bedingungen, glaubt
der dänische Karikaturist Carsten Graabaek
. In Westeuropa herrsche Meinungsfreiheit. Durch den Karikaturen-Streit sei ihm dennoch bewusst geworden, auf welchem Minenfeld sich auch westeuropäische Zeichner bewegen. „Nach den Karikaturen im Jyllands-Posten erhielten die beteiligten Zeichner Morddrohungen“, berichtet er.
Auch dem
Franzosen Jean Plantu
drohten islamistische Fundamentalisten, nachdem er in der französischen Tageszeitung
Le Monde
den Karikaturen-Streit mit einer eigenen Zeichnung kommentierte. Er saß im Flugzeug, als er von der Auseinandersetzung erfuhr. Wie ein Kind, erzählt er, habe er daraufhin angefangen „Ich darf Mohammed nicht zeichnen“ auf seinen Block zu kritzeln. Die Sätze bildeten schließlich ein bärtiges Gesicht. Die Zeichnung wurde am 3. Februar auf der Titelseite von
Le Monde
abgedruckt.
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Von Plantu, der schon seit Jahren den Kontakt mit Kollegen aus der ganzen Welt pflegt, stammt auch die Idee zu „Cartooning for Peace“. Im Jahr 1991 traf er den mittlerweile verstorbenen Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat. „Damals war Arafat nicht einmal in der Lage, das Wort Israel auszusprechen“, berichtet er während der Pariser Debatte. „Also habe ich ihn die israelische Flagge zeichnen lassen. Im folgenden Jahr habe ich den israelischen Politiker Schimon Peres gebeten, die Skizze zu ergänzen. Zum ersten Mal war die Handschrift der beiden Staatsmänner auf demselben Blatt Papier.“ Und Plantu merkte zum ersten Mal, dass Karikaturen auch eine diplomatische Funktion erfüllen können.
Im Jahr 2005 überzeugte er schließlich Kofi Annan, den ehemaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen, „Cartooning for Peace“ zu organisieren. Das war noch vor dem Karikaturen-Streit.
Doch der Streit und die iranische Antwort darauf – eine umstrittene Ausstellung mit Zeichnungen über den Holocaust in Teheran – zeigten, dass diese Form der Gesellschaftskritik auch zur Waffe werden kann. In Genf hatte Plantu daher zu einer „Waffenruhe der Blasphemie“ aufgerufen.
Das heißt keineswegs, dass Karikaturisten ihre bissige Sicht auf Politik und Gesellschaft gegen einen politisch korrekten Ton eintauschen sollten. Die ausgestellten Zeichnungen sind alles andere als zahm. Und dass sie nicht bereit sind, ihr Recht zu kritisieren aufzugeben, machen die Zeichner während der Diskussion in Paris deutlich. Die Zurückhaltung der Karikaturisten, die auf den Streit folgte, erschrak sie.
Aber es wird deutlich: Auch in Europa ist Meinungsfreiheit relativ. Geldgeber mischen sich immer öfter ein: Die eine oder andere Karikatur könnte schließlich die Gefühle der Leserschaft verletzen und sie vom Kauf der Zeitung abhalten. Einige Zeichner geben zu, sich mittlerweile selbst zu zensieren.
Ali Dilem widerlegte seinerseits das Vorurteil, Muslime verstünden keinen Spaß: „Es ist heilsam, herumzualbern. Jeder hat Familienmitglieder verloren.“ Neckend fügte er hinzu: „Wegen Leuten wie Bouteflika wollen wir Algerien verlassen. Nicht wegen des französischen Camemberts.“
Zur heutigen Eröffnung der Ausstellung im Brüsseler
Centre Belge de la Bande-Dessinée
(Belgisches Comicszentrum), wird Plantu einen Text lesen, den ihm einer der am Karikaturen-Streit beteiligten Zeichner geschickt hat. Ob es ein Aufruf zu weniger Angst und spitzerer Feder sein wird?