Die chinesische Band Joyside gab am Freitag in Berlin ihr erstes Konzert außerhalb der Volksrepublik. Ein Bericht über den Abend im Speziellen und Punk in China im Allgemeinen.
Von Sonja Eismann
Susanne Messmer ist gestresst. Die Regisseurin des Dokumentarfilms
Beijing Bubbles
muss sich an diesem Abend in der Berliner
Volksbühne
um alles gleichzeitig kümmern: den Stars des Abends, der Pekinger Band
Joyside
, den Weg zum Backstage-Raum weisen, die Helferinnen am Einlass vorbeilotsen, das Bühnenlicht prüfen. Unter anderem. „Ich mache alles auf dieser Tour, bin Fahrerin, Managerin...“ Bevor sie weiterreden kann, wird sie schon von neuen Dringlichkeiten fortgespült.
Trotz der Anspannung ist die Freude, mit der sie und George Lindt dem Beginn der
Joyside
-Tour entgegen fiebern, kaum zu übersehen. Lindt ist Mit-Regisseur von
Beijing Bubbles
und betreibt das Label
Lieblingslied Records
. Messmer war früher mal Redakteurin bei der
taz
. Dann haben die beiden ihre Herzen an die Pekinger Punkszene verschenkt. Mit ihrer Begeisterung haben sie nicht nur den Film
Beijing Bubbles
aus dem Nichts geschaffen, der seit vergangenem Donnerstag in unseren Kinos läuft, sondern auch mal eben eine komplette Tour für eine der Bands aus dem Film auf die Beine gestellt.
Drinnen erstrahlt der Rote Salon der Volksbühne im schäbig-schönen Prunk des sozialistischen Realismus. Jetzt füllt er sich langsam mit Besuchern, alle neugierig auf die Band, deren Sänger mit seiner Freundin so rotzig aus dem
Filmplakat
von
Beijing Bubbles
guckt. Doch nach jungen Punks oder Exil-Chinesen hält man im Saal vergebens Ausschau – der Großteil des Publikums ist jenseits der dreißig und war wahrscheinlich Teil der Punk-Szene, bevor diese im Kulturbetrieb ankam. Bei manchen spielt auch der „Exotik-Faktor“ sicher eine Rolle. Eine Punkband aus China – das klingt nach Tabubruch. Dabei wollen die meisten der im Film gezeigten Bands mit Politik nichts zu tun haben, das ganze Politik- und Oppositionsgequatsche der Wessis langweilt sie. Viel spannender finden sie den westliche Lifestyle, die Musik, die Klamotten, die Codes, das Abhängen.
Der DJ spielt
The Doors
und
Dinosaur Jr
und stimmt damit schon mal auf eine Band ein, deren Sänger nach eigener Aussage Jim Morrison glühend verehrt. Kurz bevor es gegen Mitternacht auf der Bühne endlich los geht, stehen Sänger Bian und seine Freundin vor dem Filmplakat – hinten das Foto, vorne die menschliche Entsprechung. Kurz darauf brettert die Band mit ihrem klassischen Set-Up aus Gitarre-Schlagzeug-Bass los. Als Bian als letzter ans Mikro kommt, ist klar, wohin die Reise geht: ins Rockstar-Land. Das wuschelige Haar fällt in perfekt gefönten Strähnen ins Gesicht, die Hüften bewegen sich fast so schwungvoll wie weiland bei Axl Rose, und die rote Phantasie-Uniform mit dem weißen Rüschenhemd zitiert die Vorbilder aus den Sechzigern.
Zwischen den Songs redet Bian nicht viel, obwohl er, wie auch der Rest der Band, aus der gebildeten Mittelklasse stammt und verhältnismäßig gut Englisch spricht – das wissen wir aus dem Film. Dafür covert er die
Rolling Stones
und die
Beatles
und reitet mit seiner Band so unbekümmert durch vier Jahrzehnte westlicher Rock- und Punkgeschichte, dass alle in Experten-Kreisen so sorgfältig verwalteten Distinktionen völlig unwichtig scheinen. Ein bisschen amerikanische Rock-Klassik, ein bisschen britischer Frühpunk, ein bisschen Indie-Rock, sogar ein paar Country-Gitarren und Glam-Elemente finden hier zusammen.
So langsam versteht man, was auch in
Beijing Bubbles
schon betont wird: Dass nämlich im geöffneten und per Web global vernetzten China derzeit vierzig Jahre Popkultur auf einen Schlag ankommen. Da steht Jimi Hendrix gleichberechtigt neben
Bloc Party,
die Chronologie spielt keine Rolle mehr. Punk ist hier kein Musikstil, keine Mode, auch kein Schnorren in der Fußgängerzone. Es ist primär die Haltung, sich dem Bildungs- und Karrieredruck der neuen chinesischen Gesellschaft durch die asoziale Gammelei einer Musikerexistenz zu entziehen. Doch wer die vier Typen in ihren versierten Posen auf der Bühne sieht, merkt es schon: Auch hier regiert der Wunsch, es nach ganz oben zu schaffen. Nur eben auf einer anderen Leiter.