Bayerns Innenminister Günther Beckstein hat in einem Interview davon gesprochen,
"wie Terror über Internet kommt"
. Das funktioniert so: Im Ausland werden Hetzvideos ins Netz gestellt, die "dazu führen, dass deutsche Islamisten radikalisiert werden". Und die Lösung: "Überwachungsmaßnahmen, die auch Post- und Fernmeldeverkehr einschließen". Wie soll das funktionieren? Können bayerische "Cybercops" das gesamte Internet kontrollieren? Oder sollen sie verfolgen, wer in Deutschland welche Inhalte im Ausland abruft –
sich also zum Beispiel Geiselvideos anschaut?
Würde man der Logik des Kontrollierens und Verbietens folgen, der einzige erfolgversprechende Weg wären weltweit geltende Gesetze, die in allen Ländern der Erde gleich durchgesetzt werden. Doch schaut man sich an, wie internationale Politik heute funktioniert, wird schnell klar, dass dieser Weg noch weit ist. Sei es der Konflikt um das iranische Atomprogramm, der Kampf gegen die Armut oder unser Umgang mit dem Klimawandel (alles Probleme, die die Menschheit unmittelbarer bedrohen, als Computerspiele oder Terroristen im Cyberspace) – eine funktionierende übernationale Gemeinschaft gibt es nicht.
Das ist nicht anders, wenn es um das Netz geht. Unter dem Stichwort "Internet Governance" luden die Vereinten Nationen in den Jahren 2003 und 2005 zum
Weltgipfel zur Informationsgesellschaft
(WSIS,
World Summit on Information Society
). An der zweiten Runde, die im November 2005 in Tunis stattfand, nahmen mehr als 17.000 Delegierte teil. Sie kamen aus 175 Ländern der Welt und verschiedenen Interessengruppen: Politiker, Vertreter der Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen waren dabei.
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Die im Voraus gesteckten Ziele waren durchaus ehrgeizig. Die Vergabe von Internetadressen, die bislang von der amerikanischen Organisation
Icann
verwaltet werden, sollte auf demokratischere und vor allem internationale Füße gestellt werden. Die Teilnehmer wollten die digitale Kluft zwischen den armen und reichen Ländern der Erde schließen und darüber reden, wie der Ausbau der Infrastruktur beispielsweise in Afrika finanziert werden könnte. Die Frage, welche Rolle geistiges Eigentum im Netz spielt, sollte ebenso besprochen werden wie die Meinungs- und Informationsfreiheit. Und nicht zuletzt sollte der Masterplan für eine "Regierung" des Internet entworfen werden – also ein Gremium, das künftig die Arbeit des WSIS fortführen könnte.
Beschlossen wurde jedoch nicht viel. Die Icann verwaltet bis heute die Domainnamen, und die finanzielle Unterstützung für die armen Länder scheiterte am Widerstand der Industrienationen. Wie es um den Konflikt um das geistige Eigentum bestellt ist, weiß jeder, der schon einmal Mp3-Dateien aus dem Internet gezogen hat (und anschließend Post von der Staatsanwaltschaft bekam), oder Lieder, die bei iTunes gekauft wurden, mal eben auf einem anderen Gerät abspielen wollte (und dabei gescheitert ist). Ganz zu schweigen vom Recht auf freie Information und Meinungsäußerung in China, Vietnam, Iran, Weißrussland – die Liste ist lang.
Zwar wurde mit dem
Internet Governance Forum (IGF)
eine Nachfolgeorganisation initiiert, die ihren Sitz bei den Vereinten Nationen in Genf hat – doch seit der Gründungsversammlung im November 2006 ist es still geworden um das Thema Internetregierung. Das Forum hat lediglich beratende Funktion, wenn es um den Interessenausgleich zwischen den Staaten geht. Wie viele dieser Interessen im Spiel sind, zeigt allein die
Linkliste auf der Webseite des IGF-Gipels
– die lediglich diejenigen internationalen Organisationen und Gremien verzeichnet, die von den Veranstaltern als
"useful"
eingestuft wurden. Hinzudenken darf man sich noch die vielen Tausend Unternehmen, die wirtschaftliche Ziele im Internet verfolgen, und die
192 Staaten der Welt.
Während die "Internetregierung" diskutiert, werden anderswo vollendete Tatsachen geschaffen.
China blockiert missliebige Webseiten
, in Russland
gehen Justiz und Geheimdienste gegen Internetnutzer vor
. Immer wieder werden weltweit
Blogger und Journalisten
aufgrund ihrer Tätigkeit im Netz verhaftet. Die Europäische Union verlangt von ihren Mitgliedsstaaten, Gesetze zu schaffen, die eine umfassende
Aufzeichnung von Telefon- und Internetverbindungsdaten
erlauben. Mit dem Argument, der neuen Terrorgefahr sei nur dadurch zu begegnen, dass die Freiheit eingeschränkt wird, wird das Post- und Telekommunikationsgeheimnis beschnitten – ein Grundrecht, das eigentlich längst als unbestritten galt.
Natürlich kann man einwenden, dass es seit 1948 eine
Erklärung der Menschenrechte
gibt, die für alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verbindlich ist. Und dass die Existenz dieser Konvention noch längst nicht bedeutet, dass sie auch überall eingehalten wird. Doch mit dem Internet gibt es zum ersten Mal in der Geschichte ein Medium, das zumindest theoretisch den gleichberechtigten Austausch von Informationen zwischen allen Menschen der Erde erlaubt – und somit auch eine gleichberechtigte Wahrnehmung von Rechten. Bis hin zu weltweiten Wahlen. Das ist eine große Chance.
Aber im Moment sieht es eher so aus, als könnte ein anderes Szenario Realität werden. Die Staatschefs aller Länder der Erde sitzen in einem Flugzeug. "Wer kontrolliert eigentlich das Internet?", fragt einer von ihnen. Daraufhin rufen 192 Stimmen: "ICH!"