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Film

Modenschau im Gulag

Rampenlicht hinter Gittern: Im sibirischen Gefangenenlager UF91-9 führen sich die Insassen einmal jährlich ihre selbstgeschneiderten Mode-Entwürfe vor. Maria Yatskova hat darüber einen Film gedreht.

Der Berlinale-Beitrag  Miss Gulag porträtiert drei junge Frauen in einem sibirischen Gefangenenlager. Trotz drastischer Strafen verlieren sie nicht den Lebensmut. Die russische Filmemacherin Maria Yatskova (31) hat sich für Regiedebüt in das Frauen-Gulag UF91-9 begeben. Im Interview spricht sie über die Dreharbeiten im Knast und warum eine Entlassung für die Frauen nicht gleichbedeutend mit Freiheit ist.

Du hast einen Dokumentarfilm über Frauen in einem sibirischen Gefangenenlager gedreht. Warum?

Auf die Geschichte von "Miss Gulag" bin ich zufällig im Internet gestoßen. Es war nur ein kleiner Schnipsel über ein Gefangenenlager in Sibirien. Doch hier veranstalten die Frauen jedes Jahr  einen Schönheitswettbewerb. Wer daran teilnimmt, bekommt allerdings keinen Modelvertrag, sondern eine Chance auf frühere Entlassung.

Im Grunde geht es aber um die erste Generation von jungen Frauen nach dem Zerfall der Sowjetunion.

Ja. Es sind die Frauen meiner Generation. Ich wurde zwar in Moskau geboren, bin aber mit fünf Jahren mit meiner Mutter und Großmutter nach New York ausgewandert. Ich habe mich immer gefragt, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich in der Sowjetunion geblieben wäre - in dem Chaos, das nach dem Zusammenbruch dort herrschte. Vielleicht wäre auch ich bei Drogen und Gewalt gelandet wie die Frauen in dem Lager?

Im Zentrum des Films stehen drei Frauen: Yulia ist wegen Drogenhandels verurteilt worden, Natasha wegen bewaffneten Raubüberfalls und Tatiana wegen Mordes. Warum hast Du gerade diese drei ausgewählt?

Ich wollte drei Frauen zeigen, die sich in drei verschiedenen Stadien ihrer Inhaftierung befinden: Yulia hat noch viele Jahre vor sich. Natasha befindet sich am Übergang zur Freiheit, ihre vorzeitige Entlassung wird gerade verhandelt. Tatiana schließlich lebt bereits in Freiheit, trägt aber immer noch den ganzen emotionalen Ballast aus ihrer Zeit im Gefängnis mit sich herum.

Mit dem Begriff "Gulag" verbindet man im Westen vor allem politische Gefangenschaft, die nur wenige überlebt haben. Die meisten Frauen in dem Lager sind jedoch wegen Drogen- und Gewaltdelikten dort.

Ich will keine Entschuldigungen suchen, warum sie ihre Verbrechen begangen haben. Doch während der Dreharbeiten haben wir verstanden, welche Lebensumstände sie dazu gebracht haben. Selbst im Gefangenenlager gibt es ein paar Privilegierten -  und viele Erniedrigte.  Es ist ein kleines Abbild von Russland als Ganzem. Für mich sind diese Frauen Gefangene ihrer Armut.

Was wäre dann Freiheit für sie?
 
Wenn diese Frauen raus kommen, was erwartet sie draußen? 70 Prozent der Arbeitslosen in Russland sind Frauen. In der Freiheit haben sie zum Teil weniger Sicherheit und weniger Möglichkeiten als im Knast.  Zum Beispiel dieser jährliche Schönheitswettbewerb, wo die Frauen ihre eigenen Kreationen nähen und vorführen können: So etwas werden sie in der Realität nie mehr haben.

Was für ein Russland habt ihr bei euren Dreharbeiten kennen gelernt?


Die Vororte von Novosibirsk. Die ländlichen Gegenden, aus denen die Frauen kamen, haben uns schockiert. Als meine Produzentin Irina sich den Ort ansah, aus dem Tatiana kam, rief sie mich an und sagte: "Du wirst es nicht glauben, aber hier sieht es genauso aus wie in dem Gefängnis."

War es schwierig, das Vertrauen dieser Frauen und ihrer Familien zu gewinnen?

Natürlich. Dort, wo sie herkommen, haben sie noch nie irgendeine Reality-TV-Show oder etwas Ähnliches gesehen. Und dann kommen wir auf einmal an, mit unserem Team und dem ganzen Equipment. Sie haben zunächst nicht verstanden, was wir wollten, warum wir uns für sie interessierten. Es hat lange gedauert, bis sie sich an uns gewöhnt  haben und  merkten, dass wir nicht die bösen Amerikaner sind, die sie manipulieren und ausbeuten wollen.

Welche Momente mit den Frauen haben Dich am meisten berührt?
 
Es gab eine Szene im Besucherraum, wo Yulia nur durch die Glasscheibe und mit Hilfe eines uralten Telefon mit ihrer Mutter sprechen kann. Dass sich die beiden nicht berühren konnten, hat mich verrückt gemacht. Mit Yulia habe ich viel Zeit verbracht, und irgendwann hat sie sich tatsächlich geöffnet. Als ihre Mutter mir Yulias Babyfotos und die Fotos ihrer Hochzeit gezeigt hat, konnte ich einfach nicht verstehen, wie dieses kleine Mädchen drogensüchtig werden und an einem so schrecklichen Ort landen konnte.

Wie waren die Dreharbeiten im Lager? Durftet ihr da einfach filmen?


Nein, in vielen Teilen des Camps nicht. Wir durften nie ohne Aufsicht sein. Meine Produzentin Irina hat sich einmal verlaufen und wollte eine Tür zu einem anderen Trakt öffnen. Als der Wächter das gesehen hat, ist er total ausgeflippt. Wir wissen bis heute nicht, was hinter dieser Tür war. Dann wollten wir eine Szene drehen, wie sich die Frauen morgens im Bad die Zähne putzen. Sie führten uns in ein wunderschönes Bad. Ich wunderte mich und fragte eine der Frauen, ob es noch andere Bäder gebe. Sie lachte nur und meinte: "Das hier ist das Gästebad."

Habt ihr noch Kontakt zu den Frauen? Hat sich ihr Leben nach dem Film verändert?

Inzwischen sind alle drei in Freiheit. Wir bemühen uns, über unsere Produzentin vor Ort Kontakt zu halten, aber es ist nicht einfach. Es verläuft eine ganz dünne Grenze zwischen einem humanitären Helfer und einem Filmemacher. Ich würde nicht sagen, dass wir es verbessert haben - aber vielleicht hatte der Film einen positiven Einfluss auf ihr Leben.

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