Frauen, die keine Gefühle für ihre Kinder haben, sind ein Tabu. Doch es gibt sie. Im Film Madonnen spielt Sandra Hüller so ein Nichtmutter. Im Zuender spricht sie über diese Rolle.
Fragen von Stefanie Büther
Der Ausflug zu McDonalds wirkt wie ein normales Familienleben: Mutter, Großmutter, jede Menge Kinder und ein Tisch voller Burger. Doch plötzlich steht Mutter Rita auf, schleicht sich nach draußen und kommt nicht wieder. Ihre fünf Kinder hat sie einfach sitzengelassen.
In
Madonnen
, dem neuen Film von Maria Speth, unterläuft eine
Mutter alle Ideale des Mutterseins. Sie driftet ziellos
durchs Leben, landet wegen Diebstählen im Gefängnis, die Kinder
interessieren sie nur am Rande. Gespielt wird sie von Sandra Hüller,
die allmählich zur Expertin für extreme Frauenrollen wird. In
Requiem
spielte sie eine streng gläubige Studentin, die sich von Dämonen
verfolgt glaubt. Für diese Rolle wurde die 28-jährige mit dem
Bayerischen Filmpreis, dem Deutschen Filmpreis und auf der letzten
Berlinale mit dem Silbernen Bären als beste Schauspielerin
ausgezeichnet. Stefanie Büther sprach mit ihr über schlechte Mütter und wie man sie spielt.
Was hat dich an
Madonnen
gereizt?
Der Film setzt sich mit sehr brisanten Themen auseinander – Mutterschaft, Frau-Sein, Austausch in der Familie. Wie funktioniert so eine Familie überhaupt und was wird da von einem verlangt als Mutter? Ist Mutterliebe angeboren oder lernt man das? Und die schwierigste Frage: Darf man überhaupt Mutter sein, wenn man das eigentlich gar nicht kann?
Du spielst eine Frau, die fünf Kinder von verschiedenen Männern hat und sich für ihre Kinder nicht zu interessieren scheint. Ist sie ein Gegenbild zur liebevollen Mutter, die wir so oft im Kino sehen?
Ja. Genau deshalb war sie für mich eine so spannende Figur. Ich fand es sehr mutig, eine Frau zu zeigen, die mit unseren Vorstellungen von Mutterschaft bricht. Und zwar ohne dabei so etwas wie Reue zu empfinden. Im Theater habe ich es oft mit Figuren zu tun, die mit ihrer eigenen Schuld zu kämpfen haben – bei Rita war das nicht der Fall.
Rita ist ein sehr schroffer Charakter, der nicht unbedingt dazu einlädt, sich in ihn einzufühlen. Wie hast du dich in diese Figur eingearbeitet?
Erstmal habe ich viel Zeit mit dem kleinsten Kind verbracht, auch
alleine, um ein Gefühl für die Rolle zu bekommen. Wie sieht so ein
Mutteralltag aus oder wie könnte er aussehen? Das Schwierigste an der
Rolle war aber, mich darauf einzulassen, dass jemand
so sperrig ist. Ich musste allen Impulsen widerstehen, die ich den
Kindern gegenüber tatsächlich hatte. Das war sehr schwer.
Der Film ist sehr beobachtend gedreht...
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Wir wollten bewusst vermeiden, dass er in irgendeiner Weise emotionalisiert. Es war uns wichtig, eine so schwierige Mutterfigur einfach zu zeigen ohne sie gleich zu werten. Diese Frauen gibt es tatsächlich: Während unserer Vorbereitung im Gefängnis in Frankfurt haben wir sie kennen gelernt.
Wie war es mit fünf Kindern zu drehen?
Faszinierend. Kinder haben einen tollen Mechanismus: Wenn es ihnen zu eng wird oder dicke Luft herrscht, fangen sie an rumzuspinnen. Daran merkt man ganz schnell, dass etwas nicht stimmt. Wir hatten eine sehr lange Vorbereitungszeit, um uns aneinander gewöhnen zu können.
In
Requiem
spielst du eine Studentin, die von Teufelsvisionen verfolgt wird, jetzt eine extreme Mutterfigur. Haben die beiden Rollen etwas gemeinsam?
Beide Figuren sind eigenwillig und sehr stur. Das macht sie auch so
interessant – letztlich finden wir immer die Menschen anziehend, die
ihren Weg gehen. Oder zumindest den Anschein geben, das zu tun, denn
letztlich kann man es oft gar nicht. Ritas Weg ist auch voller
Schlenker – wie sie ihren Vater sucht, dann ins Gefängnis muss,
hinterher ihre Kinder zu sich holt, um sie dann am Ende wieder weg zu
geben. Trotzdem hat man immer das Gefühl, dass sie die Entscheidungen
trifft. Selbst wenn sie ins Gefängnis gebracht wird, ist es letztlich
sie, die sich dafür entscheidet. Es ist weder Strafe, noch etwas, das
sie ändern müsste, sondern einfach ein Teil ihres Lebens, den sie
akzeptiert.
Du bist sehr wählerisch, was deine Rollen angeht. Welche Filme faszinieren dich?
Wenn man Theater macht, ist man verwöhnt was Texte und Geschichten angeht. Beim Theater sind die Geschichten oft sehr komplex, voller Abgründe und Wendungen. Das Gemeinsame an
Requiem
und
Madonnen
ist, dass sie Theaterqualität haben. Die Geschichten sind interessant und berührend. Wenn ich
Madonnen
ansehe, kommen ganz viele Fragen über diese Frau hoch: ob sie einen Ausweg findet oder ob ich ihr helfen könnte. Ich finde es toll, wenn ein Film das schafft.
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Hast Du viele Rollen abgelehnt?
Ja.
Weil sie nicht komplex genug waren?
Nein. Das hatte einfach mit einer Zeit in meinem Leben zu tun. Ich wollte mich mal eine Zeit lang nicht in jemand anders hineinversetzen müssen.