Jugend in der DDR
Politik?
André Hennig
Tut mir leid, ich war kein Revoluzzer, nicht mal ein Dissident. Nein, ich war ein Mitläufer! Brav habe ich das blaue, später das rote Halstuch der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ getragen. Auch am Blauhemd der „Freien Deutschen Jugend“ (FDJ) bin ich nicht vorbeigekommen. An meiner Schule kannte ich nur einen, der sich da raushielt. Aber mit dem wollte niemand was zu tun haben. Nicht weil er katholisch und ein Staatsfeind war, sondern irgendwie komisch. Die Atheisten und selbst die paar Evangelischen haben mitgemacht. Plattenbausiedlungen in sächsischen Kleinstädten bildeten 1988 nicht unbedingt Horte des Widerstandes. Ihre Bewohner haben erst ein Jahr später „Helmut, Helmut!“ geschrien.
André Hennig arbeitet als freier Journalist in Dresden. Er wurde 1972 in der sächsischen Kleinstadt Meißen geboren.
So richtig geheuer erschien mir die kommunistische Indoktrinierung allerdings nicht. Was weniger auf der Ablehnung der marxistischen Lehre beruhte, als auf einem angeborenen Misstrauen gegenüber jeglicher Art von Massenpsychose. Deswegen war ich auch nie Fußballfan. Um höhere Posten in den diversen Jugendorganisationen versuchte ich mich meist herumzudrücken, sehr zum Missfallen des schon erwähnten Klassenlehrers Thümmel. Mal mit weniger, mal mit mehr Erfolg.
Wenn mir letzterer beschieden war, schrieb Thümmel in mein Zeugnis: Sein Engagement für die Ideale des Sozialismus lässt noch zu wünschen übrig. Hätte Thümmel den
Sputnik
-Aufkleber auf meinem Hausaufgabenheft noch erlebt, hätte er härtere Worte gefunden. Aber Ende 1988, als das sowjetische Magazin wegen verzerrender Beiträge zur Geschichte (Gorbatschow machte schon auf Perestroika) in der DDR nicht mehr vertrieben wurde, hatte ihn die weniger politisierte Frau Siegel schon als Klassenlehrer abgelöst.
Solschenizyn
las ich erst ein Jahr später, als ich dann mein FDJ-Mitgliedsbuch zurückgab, stellte die Stasi schon keine ernsthafte Gefahr mehr dar. Und meine Karriere als Montagsdemonstrant endete mit dem Auftauchen der Helmut-Rufer: Ich war einer der Naivlinge, die damals an den dritten Weg glaubten.
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Zuender hat drei Zeitzeugen über ihre Jugend in der DDR befragt: Wie war das 1988?
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