Das war wohl auch die bevorzugte Lesart des
Edith-Ruß-Hauses für Medienkunst
in Oldenburg, das die Aktion mit 10.000 Euro fördert. Dort ist die Rede von einer "subversiven Online-Arbeit, welche die widersprüchliche Art und Weise hinterfragt, in der Urheberrecht angewandt wird." Auf die Frage, was denn daran genau subversiv sei, erwidert Leiterin Sabine Himmelsbach: "Die Arbeit greift das Thema Copyright und Nutzungsrechten im globalen Netz auf und stößt eine Diskussion an, die an die ursprünglich utopischen Ansprüche des Internets als frei zugängliche Plattform für Wissen und Information erinnert."
Bernhard und seinen Kollegen geht es aber nach eigener Aussage gar nicht um Copyright. Dass sie mit "amazon noir" die Rechte von Autoren und Verlagen verletzen, sehen sie eher als eine Art bedauerlichen Kollateralschaden. Was sie interessiert, ist der Effekt, den sie mit ihren provokativen Aktionen in den Medien und bei den Konzernen auslösen. "Wir experimentieren in globalen massenmedialen Netzwerken, ohne politische oder ideologische Absichten. Das ist eine Art Versuchsanordnung. Wir wollten sehen, wie sich die verschiedenen Beteiligten in dieser Situation verhalten," stellt Bernhard klar.
Ohnehin sind sich die Künstler keiner Schuld bewusst, denn "Amazon stellt die Bücher ja selbst ins Netz. Wir laden sie bloß auf legale Weise herunter und verteilen sie weiter." Nur: ganz so einfach ist es nicht. Denn erstens stellt Amazon natürlich nicht die vollständigen Texte online, sondern zeigt jeweils nur Ausschnitte. Auch darf "Search Inside" nur von solchen Kunden genutzt werden, die bereits etwas eingekauft haben – ein weiterer Versuch, den Zugang zu regeln.
Außerdem dürften ubermorgen.com die Texte selbst dann nicht weiterverbreiten, wenn sie vollständig im Netz stünden. "Diese Argumentation basiert auf einer gängigen Fehlannahme," sagt Till Kreutzer, Urheberrechtsanwalt und Redakteur bei
iRights.info
: "Man darf nicht alles weiterverwenden, bloß weil andere es online gestellt haben. Dem Urheberrecht nach entscheidend ist, ob man die Erlaubnis der Rechteinhaber hat." Eine Ausnahme für Kunst gebe es nicht. Fürchten müssten sich die Künstler nicht so sehr vor dem Netz-Konzern wie vor den Verlagen, glaubt er: "Wenn das tatsächlich umgesetzt wird, gebe ich Brief und Siegel, dass die sofort vor Gericht ziehen. Kunst hin oder her."
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Die Stärke bisheriger Aktionen von ubermorgen.com bestand gerade darin, dass sie Fehler und Schwachstellen im System ihrer "Gegner" erkannt und gegen sie gewandt haben. So nutzzen sie zum Beispiel
vergangenes Jahr
Googles eigene
Ad-Sense-Werbung
, um Google-Aktien aufzukaufen. Diese Guerilla-Aktionen dienten aber letztlich immer einem größeren Konzept: Im Falle von Google etwa dazu, auf die Monopolstellung des Netzdienstleisters hinzuweisen.
"amazon noir" dreht sich im Kern um Urheberrecht und die Frage wem welches Wissen auf welche Weise zugänglich sein sollte. Der Bücherklau von ubermorgen.com könnte tatsächlich, im Sinne des Edith-Ruß-Hauses, eine Debatte dazu anstoßen. Dass die Künstler selbst dieses Thema jedoch völlig ausblenden, kann man zwar als künstlerische Naivität abbuchen. Trotzdem macht es die Aktion im Vergleich zu früheren irgendwie schwach und – naiv.
Währenddessen läuft der Versuch von ubermorgen.com weiter. Die Presse? Wir liefern schon einen Monat vor dem offiziellen Start der Aktion Berichte. Das angegriffene Unternehmen? Gibt sich bisher noch zurückhaltend und vor allem bedeckt. Man prüfe die Situation und werde "entsprechend reagieren", lässt sich Pressesprecherin Christine Höger aus der Nase ziehen. Bisher haben weder ubermorgen.com, noch das Edith-Ruß-Haus Furcht einflößende Post aus dieser Richtung bekommen. Aber noch ist ja auch alles in der Testphase.