Zwei Parteien, zwei Weltanschauungen – ist Politik so einfach? Zehntausende Menschen haben am Samstag in Warschau demonstriert.
Carsten Lißmann war dabei
Willkommen in Warschau, es ist neun Uhr morgens und der Himmel über dem Zentralbahnhof teilt sich in gut und böse. Im Osten strahlt ein breiter, tiefblauer Streifen, von Westen rückt eine graue Wolkenwand an. Heute ist der Tag der Entscheidung. „Wir bereiten uns auf Krieg vor“, zitiert die Zeitung einen Polizeibeamten, ein Politiker sagt: „Wir wollen keine Szenerie des Hasses.“
Seit vor einem Jahr die konservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ der Zwillingsbrüder Kaczyński an die Macht kam (
einer ist Präsident, der andere Regierungschef
), wird immer wieder das Bild vom alten und neuen Polen bemüht. Die Wendeverlierer, die Nichtloslassenkönner auf der einen Seite, die westlich orientierten Jungen auf der anderen. Das verbohrte Polen, das im Lauf seiner Geschichte von Europa selten Gutes zu erwarten hatte und es bis heute nicht tut – gegen das offene, das hoffnungsvolle, das vor zwei Jahren den Beitritt zur EU so fröhlich gefeiert hat.
Aber darf man das so sagen? Nein, eigentlich nicht. Denn natürlich ist alles viel komplizierter. Es gibt Zwischentöne und Zweifelnde, so sind die Menschen eben.
Doch heute, scheint es, müssen sie sich entscheiden. Seit Jahren waren in Polen nicht mehr so viele Demonstrationen an einem einzigen Tag angemeldet, wurden so viele Teilnehmer erwartet. Die Opposition hat zu einem Protestmarsch gegen die Regierung aufgerufen, die Partei der Kaczyńskis wird eine Gegenveranstaltung im Stadtzentrum abhalten. Anhänger beider Lager haben schon spät in der Nacht ihre Autobusse bestiegen, aus dem ganzen Land sollen sie nach Warschau kommen.
Auch die
Liga Polnischer Familien
demonstriert. Wer die politische Richtung dieser Partei zu beschreiben versucht, endet schnell in der politischen Folterkammer des zwanzigsten Jahrhunderts: Erzkatholisch, ultranational, fremden- und schwulenfeindlich, populistisch. Seit Mai dieses Jahres ist die LPR Teil der Regierungskoalition, Parteichef Roman Giertych ist Bildungsminister. Doch hier vor dem Sejm, dem Parlamentsgebäude, ist die Liga nur ein lockerer Haufen; der Platz ist zu groß.
Am Wegesrand verkaufen alte Männer Pamphlete über die jüdisch-sowjetische Weltverschwörung, Jüngere stehen mit finsterem Blick herum. Aus einer Batterie von Lautsprechern schmachten polnische Volkslieder, Ordner in neongelben Westen verteilen Blumen: Die Veranstaltung heißt „Marsch der weißen Rosen“, und jeder soll eine im Knopfloch haben. Dazwischen Transparente, die nichts fordern. „
Mlodzież Wszechpolska Gdańsk
“, steht auf dem einen – die
Allpolnische Jugend
aus Danzig ist also da. „Nein den Totengräbern Polens“, sagt ein anderes.
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„Warum bist du hier?“, frage ich einen. „Weil Samstag ist“, sagt er. „Und die LPR?“ „Ich sympathisiere mit deren Ideen.“ „Was bedeutet denn Nationalismus für dich?“, will ich wissen. „Nationalismus, das heißt, die Nation aufzubauen.“ „Was sind deine Ziele im Leben?“ Er schaut überrascht. „Ziele? Mein Philosophiestudium beenden, Familie haben und enge Freunde.“ „Was ist denn mit den anderen Parteien?“ „Nun, die haben andere Programme.“
Es knarzt in den Lautsprechern. „Willkommen zusammen. Hunderte von unseren Freunden stehen noch im Stau. Darum warten wir und lassen die Fahnen wehen. Entschuldigung, bitte noch einmal für die Damen und Herren von den Massenmedien.“