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Polen

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TEIL 2

Überhaupt, die Fahnen. Wer keine hat, bekommt eine. Am Rand der Demonstration steht eine Horde vierzehnjähriger Mädchen, sie schwenken kichernd eine rot-weiße Stoffbahn. Ob die wissen, was sie hier tun? Ein Junge steht halb verschüchtert, halb gelangweilt an der Straße, seine Flagge hat er in der Armbeuge, die Hände in den Hosentaschen. Warum er gekommen sei? Er schaut verwirrt: „Ich weiß nicht.“ „Bist du denn Anhänger der LPR?“. Er winkt einen mit Schnauzbart heran, der neben ihm steht. „Der Vater soll antworten.“

Auch die liberale Bürgerplattform hat sich einen großen Ort gesucht. Auf dem Piłsudskiplatz stand einst das Sächsische Palais, bis es von der Wehrmacht gesprengt wurde. Seitdem ist es nur Päpsten gelungen, dieses riesige Feld im Zentrum Warschaus zu füllen. Jetzt wollen sie den Palast wieder aufbauen. Vom Balkon des alten Hotels Europejski ruft ein Sprecher ins Mikrofon. „Polska wolna“ – Freies Polen. Davor steht mit gesenktem Haupt die Statue des Feldmarschalls Piłsudski inmitten der Menge, jemand schwenkt eine Europafahne, als wollte er den Alten necken. Józef Piłsudski hat Polen nach dem ersten Weltkrieg in die Unabhängigkeit und später in eine Diktatur geführt – er gilt als Gallionsfigur der Rechten.

Die Menge wird warm, sie skandieren „Wir wollen Neuwahlen“, und: „Geht mit uns, nicht mit den Kaczyńskis“. Im Polnischen reimt sich das alles wunderbar. Familienväter machen Fotos, ein Dackel wedelt dazu heftig mit dem Schwanz. Zwanzigtausend sind gekommen, ruft es vom Balkon, zehntausend wird später das Fernsehen sagen. Der Zug setzt sich in Bewegung, Richtung Königsschloss am Palast des Präsidenten vorbei, wo jetzt Lech Kaczyński residiert. Der Eingang ist abgeriegelt, Soldaten blicken finster auf die Leute. „Was rufen denn alle?“, frage ich einen groß gewachsenen Studenten. Er schaut verlegen, sucht nach Worten. „Das ist ziemlich obszön.“ – „Hau ab, du Penner“, reime ich mir zusammen. Im Wahlkampf soll der Präsident das mal zu einem Bettler gesagt haben.

Der Student erzählt: „Ich mag die Bürgerplattform eigentlich nicht, alle ihre Vorschläge gehen mir nicht weit genug, letztendlich ist das auch nur eine konservative Partei. Ich habe sie nicht gewählt. Aber heute geht es gegen die Regierung, darum bin ich dabei.“ Ich frage ihn, was er von der Veranstaltung hält, die Menschen sind so fröhlich, ist das gelebte Demokratie? Er ist skeptisch. „Ist doch alles inszeniert.“ Die PO will in der nächsten Woche eine Abstimmung im Parlament gewinnen und versucht so, die öffentliche Stimmung zu kippen. „Da wird bestimmt nichts draus.“

Vor der St. Annen-Kirche gerät der Demonstrationszug in eine Hochzeit. Die Trauzeugin steht am Straßenrand und winkt mit einem Blumenstrauß, der Fahrer des alten Benz weiß nicht, wohin mit sich. Plötzlich singt die Menge. „Sto lat, sto lat“ – Hoch sollen sie leben. „Die haben viele Gäste auf ihrer Hochzeit“, lacht jemand. Und dann: „Weg mit der Regierung!“

Ins Zentrum der Stadt gerammt steht der Palast der Kultur und Wissenschaften . Stalin hat ihn dem polnischen Volk geschenkt. Nach der Wende dachten die Warschauer lang und laut darüber nach, das Symbol abzureißen, die Idee wurde aber verworfen - hauptsächlich aus finanziellen Gründen. Jetzt steht Jarosław Kaczyński, der Regierungschef, zu Füßen dieses Giganten aus der Vergangenheit und spricht über alte Seilschaften, die er zu zerreißen versucht. Vor mehreren tausend Anhängern redet er von Nation und Werten, der Volksgemeinschaft. Auch hier lachen und singen die Menschen, sind alte und junge versammelt. Verkniffene Seelen, die Angst vor der Zukunft haben, sehen anders aus.

„Wir wollen keine Demonstration frustrierter Politiker. Wir wollen eine fröhliche und patriotische Veranstaltung, darum wird bei uns Musik spielen“, hat ein Abgeordneter von „Recht und Gerechtigkeit“ gestern gesagt. Und wirklich: Kaum, dass Jarosław Kaczyński die Bühne geräumt hat, brüllt eine Rockband los. Schlecht, aber fröhlich. Der Platz leert sich zusehends.

Eine Dame im Wollmantel spricht mich an. „Ich war früher mal schön, müssen Sie wissen.“ Sie hat eine weiße Rose in der Hand, fröhliche blaue Augen, und wenn sie lacht, glaube ich ihr sofort. Was ich von der Veranstaltung halte, will sie hören und als ich mit den Schultern zucke, beginnt sie zu erzählen. „Vor über fünfzig Jahren bin ich durch die Trümmer dieser Stadt gelaufen, die Deutschen hatten alles gesprengt. Doch es herrschte eine Entschlossenheit, jeder wusste, was zu tun war. Mut, der sich aus dem Blut von Abertausenden Toten speiste.“ Ich schaue sie fragend an. „Das gibt es heute nicht mehr. Niemand weiß mehr, was richtig oder falsch ist. Aber,“ sagt sie, „dieses Wissen wird wiederkommen!“ Wann? „Vielleicht bald, vielleicht in dreißig Jahren. Das kann niemand ahnen.“

Inzwischen hat sich der Himmel zugezogen. Kein strahlendes Blau mehr zu sehen, aber die Wolken sind nicht so finster wie am Morgen, eher unentschlossen grau. Krieg hat es in Warschau heute nicht gegeben, alle Demonstrationen verliefen friedlich. "Die große Politik ist auf der Straße angekommen", hat ein Kommentator der einflussreichen Gazeta Wyborcza geschrieben. Das mag stimmen. Doch die Leute haben die Straße verlassen und sind nach Hause gegangen. Jetzt gehört die Politik wieder den Politikern.

Weiterlesen im 3. Teil »


 
 



 

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