Aktivismus
Nackt und dagegen
TEIL 2
Zu diesem Lager gehören diejenigen, deren Nacktsein nur Mittel zum Zweck ist; die ihre Körper benutzen, um auf ein übergeordnetes Anliegen aufmerksam zu machen. Annabel also. Und
Körper gegen Kriege
,
Babes against Bush
,
Titten gegen Rassimus
. Interessanterweise sind es fast ausschließlich Frauen, die dabei vor der Kamera stehen. Anders als die Frauen von TERA, die durch ihr Nacktsein selbst Regeln brechen und Veränderung herbeiführen wollen, sind die Aktivistinnen des zweiten Lagers nicht per se widerständig. Im Gegenteil: Wer seine Titten hinhält, nur damit andere draufschauen, der ist im besten Sinne angepasst. "Sex sells" eben, Marktmechanismus verstanden und angewandt. Der Literaturwissenschaftler Clemens Pornschlegel spricht in diesem Zusammenhang vom "Genießbefehl", dem der "Triebtrottel" reflexhaft nachkommt.
Der Triebtrottel will aber ab und zu mehr sehen als nur nackte Brüste. Auch darauf reagieren die Protestler. Leona Johansson und Tommy Hol Ellingsen zum Beispiel. Sie brachten es letztes Jahr unter dem Namen
Fuck For Forest
zu schnellem Ruhm, als sie bei einem Auftritt der Band
Cumshot
auf der Bühne live Sex hatten. Im Internet betreiben sie eine Pornoseite, deren Erlöse der Rettung des Regenwaldes zu Gute kommen sollen. Anders als Annabel haben die beiden versucht, ihre Pornos auch theoretisch abzusichern. In ihrer Selbstdarstellung heißt es: "Wir glauben, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Umweltzerstörung und dem schlechten Verhältnis der Menschheit zu Sex". Moment mal - der Menschheit? Und weiter: "In unserer modernen Gesellschaft sind Sex und ein offener Umgang damit nicht akzeptiert. Die Gesellschaft denkt, Sex sollte Privatsache sein." Das klingt, als hätte man sich in der Vormoderne gradewegs über die Marktplätze gevögelt, bevor die Aufklärung den Sex in die Schlafzimmer zerrte und sieben Siegel an die Türen hämmerte.
Dabei ist grade das Gegenteil das Dilemma der zweiten Gruppe von "Nacktivisten". Nackt kann man gegen alles demonstrieren: gegen die
EU-Verfassung in Frankreich
, gegen
Zellulose-Fabriken in Uruguay
, gegen
Straßenblockaden in Madagaskar
. Und genauso auch für etwas,
Fußballsponsoren in Niederkassel
etwa. Der "Nacktivismus" galt einmal als eine kreative Protestform. Tatsächlich aber ist er inzwischen beliebig. Und wer kam eigentlich auf die Idee, dass sich der Triebtrottel für Politik interessiert?
Nicht nur Annabel leidet unter dem Desinteresse der User. Mittlerweile ist auch die Seite
Körper gegen Kriege
verschwunden.
Titten gegen Rassismus
ist noch da, aber das Gästebuch gelöscht.
Breast not Bombs
besteht weiter als fotofreies Blog,
Babes Against Bush
ist offline,
Babes For Bush
übrigens auch.
Auch der Online-Strip der Studentin
Tina
, einer Vorläuferin von
Annabel
, ist beendet. Mit ihrer Aktion "Lieber nackt als blöd" sollte gegen Studiengebühren protestiert und gleichzeitig Geld gesammelt werden. Nicht ab einer bestimmten Besucheranzahl, sondern gegen Spenden an den Seitenbetreiber wurden neue Fotos freigeschaltet. "Lieber nackt als blöd" schaffte es bis in die
Süddeutsche Zeitung
und die
ARD
. Kaum dass Tinas erste Brustwarze jedoch halb zu sehen war, war das Interesse auch schon versiegt. Nackte Frauen gibt es anderswo im Internet schneller und leichter zu sehen. Die Suchmaschine
Google
listet zum Suchwort "Nacktprotest" dann konsequenterweise auch Einträge wie diesen: "nackt protest anal big bikini sex tit weasel wicked round butt".
Damit wäre dem Triebtrottel wohl besser und unkomplizierter gedient. Neue, kreative Protestformen zu entwickeln bleibt dagegen weiterhin ein Kopfzerbrechen.
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