Aktivismus

Nackt und dagegen

Sie geben ihr letztes Hemd, sind ausgezogen für die gute Sache und lieber nackt als dumm. Aber haben die "Nacktivisten" mehr zu bieten als Fleischbeschau und Plattitüden?

Von Oskar Piegsa

Wir werden Annabel nicht mehr nackt sehen, völlig ausgeschlossen, die Kleider bleiben an. Dabei hatte es so viel versprechend angefangen für die Tierschützerin. Ein Raunen ging durch die Blogs, als sie verkündete, sich für jeden Besucher auf der Internetseite der Arbeitsgemeinschaft Animal Fans ein bisschen mehr zu entblättern. Bisher hatte die AG gegen igelfeindliche Eis-Becher agitiert und sich um die Ohren von Schoßhunden gesorgt, die mit ihren Herrchen Schlagersendungen schauen. Humor ist schließlich eine ganz gute Taktik, wenn man berühmt werden will im Netz. Aber noch besser ist Sex. Oder so dachte man zumindest.

Am 20. August ist die Aktion der Animal Fans angelaufen. "Bitte unterstützt unsere Petition gegen den Walfang", hatte Annabel noch unter ihr erstes Foto geschrieben. Seitdem hat sich nichts mehr getan auf der Website. Alle 40.000 Besucher soll ein weiteres Bild freigeschaltet werden. 25 Bilder gibt es insgesamt, "so dass bei Erreichen der 1.000.000 Besuchermarke Annabel auch tatsächlich ihr 'letzes Hemd' gegeben hat", wie der Webmaster schreibt. Spiegel Online hat durchschnittlich zwei Millionen Besucher am Tag, ZEIT online schafft knapp über fünf Millionen im Monat. Auf www.animal-fans.com haben sich bisher gerade mal 10.000 User verirrt.

Neu ist die Idee der Animal Fans nicht. Körper gegen Kriege , Babes Against Bush , Breast not Bombs und Titten gegen Rassismus - in den letzten Jahren wurden nackte Körper schon häufig politisch inszeniert. Ganz zu schweigen von all den Schüler- , Studenten- , Kirchen- , und Bauern gruppen, die mit dem Verkauf von Aktkalendern Geld für ihre Anliegen gesammelt haben.

Bei genauerem Hinsehen spaltet sich die Bewegung der lauthals skandierenden Nackedeis in zwei Lager: Dem ersteren geht es im wesentlichen um das Nacktsein selbst. Zu dieser Gruppe gehört zum Beispiel die kanadische Topfree Equal Rights Association (TERA). Die TERA nennt sich " topfree " und nicht " topless ", denn es geht ihr nicht um die gleichnamigen Bars. Es geht ihr gar nicht um Anzüglichkeiten und Sex. Sondern darum, gleichberechtigt mit Männern in der Öffentlichkeit Brust zeigen zu dürfen.

Die TERA vertritt damit ein nordamerikanisches Anliegen und kein europäisches. Hierzulande wird in der Öffentlichkeit auch von Frauen Brust gezeigt - in Parks, Schwimmbädern, Zeitschriften, Fernsehspots und auf Werbeplakaten. Ganz gleichberechtigt ist die Sache mit dem Brustzeigen deshalb aber auch in Europa noch nicht - der Aufmerksamkeit ködernde Hingucker bleiben Frauenbrüste. Womit der Sex doch noch ins Spiel kommt und mit ihm die zweite Gruppe nackter Aktivisten.

Zu diesem Lager gehören diejenigen, deren Nacktsein nur Mittel zum Zweck ist; die ihre Körper benutzen, um auf ein übergeordnetes Anliegen aufmerksam zu machen. Annabel also. Und Körper gegen Kriege , Babes against Bush , Titten gegen Rassimus . Interessanterweise sind es fast ausschließlich Frauen, die dabei vor der Kamera stehen. Anders als die Frauen von TERA, die durch ihr Nacktsein selbst Regeln brechen und Veränderung herbeiführen wollen, sind die Aktivistinnen des zweiten Lagers nicht per se widerständig. Im Gegenteil: Wer seine Titten hinhält, nur damit andere draufschauen, der ist im besten Sinne angepasst. "Sex sells" eben, Marktmechanismus verstanden und angewandt. Der Literaturwissenschaftler Clemens Pornschlegel spricht in diesem Zusammenhang vom "Genießbefehl", dem der "Triebtrottel" reflexhaft nachkommt.

Der Triebtrottel will aber ab und zu mehr sehen als nur nackte Brüste.  Auch darauf reagieren die Protestler. Leona Johansson und Tommy Hol Ellingsen zum Beispiel. Sie brachten es letztes Jahr unter dem Namen Fuck For Forest zu schnellem Ruhm, als sie bei einem Auftritt der Band Cumshot auf der Bühne live Sex hatten. Im Internet betreiben sie eine Pornoseite, deren Erlöse der Rettung des Regenwaldes zu Gute kommen sollen. Anders als Annabel haben die beiden versucht, ihre Pornos auch theoretisch abzusichern. In ihrer Selbstdarstellung heißt es: "Wir glauben, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Umweltzerstörung und dem schlechten Verhältnis der Menschheit zu Sex". Moment mal - der Menschheit? Und weiter: "In unserer modernen Gesellschaft sind Sex und ein offener Umgang damit nicht akzeptiert. Die Gesellschaft denkt, Sex sollte Privatsache sein." Das klingt, als hätte man sich in der Vormoderne gradewegs über die Marktplätze gevögelt, bevor die Aufklärung den Sex in die Schlafzimmer zerrte und sieben Siegel an die Türen hämmerte.

Dabei ist grade das Gegenteil das Dilemma der zweiten Gruppe von "Nacktivisten". Nackt kann man gegen alles demonstrieren: gegen die EU-Verfassung in Frankreich , gegen Zellulose-Fabriken in Uruguay , gegen Straßenblockaden in Madagaskar . Und genauso auch für etwas, Fußballsponsoren in Niederkassel etwa. Der "Nacktivismus" galt einmal als eine kreative Protestform. Tatsächlich aber ist er inzwischen beliebig. Und wer kam eigentlich auf die Idee, dass sich der Triebtrottel für Politik interessiert?

Nicht nur Annabel leidet unter dem Desinteresse der User. Mittlerweile ist auch die Seite Körper gegen Kriege verschwunden. Titten gegen Rassismus ist noch da, aber das Gästebuch gelöscht. Breast not Bombs besteht weiter als fotofreies Blog, Babes Against Bush ist offline, Babes For Bush übrigens auch.

Auch der Online-Strip der Studentin Tina , einer Vorläuferin von Annabel , ist beendet. Mit ihrer Aktion "Lieber nackt als blöd" sollte gegen Studiengebühren protestiert und gleichzeitig Geld gesammelt werden. Nicht ab einer bestimmten Besucheranzahl, sondern gegen Spenden an den Seitenbetreiber wurden neue Fotos freigeschaltet. "Lieber nackt als blöd" schaffte es bis in die Süddeutsche Zeitung und die ARD . Kaum dass Tinas erste Brustwarze jedoch halb zu sehen war, war das Interesse auch schon versiegt. Nackte Frauen gibt es anderswo im Internet schneller und leichter zu sehen. Die Suchmaschine Google listet zum Suchwort "Nacktprotest" dann konsequenterweise auch Einträge wie diesen: "nackt protest anal big bikini sex tit weasel wicked round butt".

Damit wäre dem Triebtrottel wohl besser und unkomplizierter gedient. Neue, kreative Protestformen zu entwickeln bleibt dagegen weiterhin ein Kopfzerbrechen.

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Nach Hause - Zuender. Das Netzmagazin

39 / 2006
ZEIT ONLINE