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Ukraine

Ein junges Gesicht

Erst die AIDS-Medikamente holen, dann die Behandlungsteams ausbilden und zuletzt der Bevölkerung erklären, worum es eigentlich geht. Verkehrte Welt? Die Ukraine hat die höchste HIV-Infektionsrate in Europa – und tut sich schwer damit, das zu ändern.

"Die Perle des Schwarzen Meeres" wird die ukrainische Hafenstadt Odessa von ihren Bewohnern gerne genannt. Touristen flanieren im Sommer durch die Innenstadt. Sie bewundern die Kathedrale, fahren danach an den Strand und bemühen sich, das Elend zu übersehen. Etwa die insgesamt 3.000 Straßenkinder, die die Stadt beherbergt und die aus gewalttätigen Familien geflohen sind oder aus Heimen. Sie schlafen in Bahnhöfen oder Hauseingängen und spritzen sich in Gruppen giftige Cocktails aus Schlaftabletten, Pilzen und Mohnsamen. Meistens haben sie dafür nur eine Nadel.

Odessa ist das Zentrum einer dramatischen Entwicklung. 1986 wurde hier der erste HIV-Infizierte registriert. Heute leben nach Hochrechnungen der Weltgesundheitsorganisation 80.000 Menschen in Odessa mit dem Virus. "Die Wurzel des Problems ist die Armut", meint Tetyana Tarasova, Leiterin der HIV/AIDS-Programme von Unicef in der Ukraine. Fast ein Drittel der Ukrainer lebt unter der Armutsgrenze.

Nicht selten kommt es vor, dass die Kinder Großeltern oder Nachbarn überlassen werden, da Mutter und Vater zur Arbeitssuche ins Ausland gehen. Oder sie reißen von zuhause aus, weil die Eltern drogenabhängig sind. Die Angst vor Gewalt und Missbrauch innerhalb der Familie drängt sie auf die Straße. Tetyana Tarasova klingt besorgt: "Viele Eltern sind nicht mehr in der Lage, sich um ihre Kinder zu kümmern."

Die meisten HIV-infizierten Kinder werden in arme Verhältnisse hineingeboren, jedes zehnte von seiner Mutter ins Waisenhaus gegeben. Ohne medizinische Betreuung während der Schwangerschaft wird der Virus in fast einem Drittel der Fälle auf das Kind übertragen – geht die Mutter rechtzeitig zu einem Facharzt, kann das Risiko auf ein paar Prozent sinken. Besonders in Kleinstädten und auf dem Land sind diese Anlaufstellen jedoch noch selten.

Vor drei Jahren hat Unicef in der Ukraine zwei Tagesstätten aufgebaut, wo junge Mütter mit HIV-infizierten Kleinkindern medizinisch und von ausgebildeten Sozialpädagogen und Psychologen betreut werden. Heute gibt es bereits elf solcher Einrichtungen. Denn die Kinder werden von gewöhnlichen Kindergärten nicht aufgenommen – und auch die Schulen werden sich später womöglich weigern. Die Lehrer haben Angst davor, sich anzustecken. Zudem lassen die Mütter selber ihre Kinder oft nicht in die Schule, aus Angst vor der Scham, wenn deren Infektion entdeckt würde.

Die Krankheit ist in der Ukraine immer noch eine gesellschaftliche Herabwürdigung. In seinem Bericht über Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine schreibt Human Rights Watch, dass teilweise selbst Krankenwagen HIV-Infizierte nicht transportieren wollten oder diese nur aufgenommen wurden, wenn sie für Behandlungen zahlten, die kostenlos hätten sein sollen. Auch seien Infizierte besonders häufig Opfer von Missbrauch seitens der Polizei, der ohnehin ein chonisches Problem darstelle. Sie sind "wegen ihres niedrigen gesellschaftlichen Status einfache Ziele, um die Verhaftungsquote zu erfüllen." Befragte Drogenabhängige sagten, dass sie offizielle Hilfsangebote vermieden, "aus Angst, an die Polizei verraten zu werden."

Doch selbst, wenn sie sich einem Arzt anvertrauen würden – nicht jeder könnte ihnen helfen. Noch nicht einmal im Medizinstudium ist HIV ein Thema. So gibt es viele Ärzte, die sich weigern, HIV-positive Patienten zu behandeln. Sie wissen einfach nicht, wie und haben oder haben Bedenken, sie könnten sich bei der Behandlung anstecken – mit unreinen Instrumenten, zum Beispiel. Igor Oliniek, Arzt bei der WHO in Kiew, schätzt, es seien wohl nur fünf Kollegen im Land überhaupt qualifiziert, eine antiretrovirale Therapie gegen AIDS durchzuführen. So viel unabhängige Organisationen auch für die AIDS-Bekämpfung tun – ohne ausgebildete Ärzte wird sie nicht erfolgreich sein.

In einer besonders schwierigen Lage seien auch die Prostituierten, meint Tetyana Tarasova. Viele von ihnen finanzieren sich ihre Drogensucht durch den Verkauf ihres Körpers. Dadurch gehen sie gleich doppelt illegalen Geschäften nach. Würden diese bekannt, wären die jungen Frauen schnell hinter Gittern. Tarasova erklärt: "Käuflicher Sex ist in der Ukraine nicht legalisiert. Diese jungen Frauen vermeiden jeden Kontakt mit Hilfsorganisationen wie Unicef, um nicht entdeckt zu werden. Da ist es sehr schwer, zu helfen."

Die Regierung hat in den letzten Jahren das Ausmaß des Problems erkannt und unterstützt das "All-Ukrainische Netzwerk der Menschen, die mit HIV leben", in dem sich zahlreiche Nichtregierungs-Organisationen dem Kampf gegen HIV/AIDS verschrieben haben. Finanziell kann der Staat selber kaum etwas leisten. Vor ein paar Jahren wurden zwar 90 Millionen Dollar vom Globalen Fond zur Hilfe für AIDS-Kranke genehmigt. Die erste Rate von sieben Millionen musste die alte Regierung unter Kutschma allerdings im Februar 2004 zurückzahlen, weil sie nicht in der Lage war, das Geld einzusetzen.

"In der Ukraine wurde das Pferd sozusagen von hinten aufgezäumt", sagt Anja Taltschick, die für mehrere Hilfsorganisationen im Land arbeitet, in einem Interview. "Erst wurde sich darum gekümmert, die Medikamente ins Land zu bringen, dann wurden in aller Eile Behandlungsteams ausgebildet, und jetzt erst fangen wir damit an, die Bevölkerung zu informieren. Das ist natürlich schwierig."

Momentan werden 2.700 Menschen in der Ukraine mit antiretroviralen Medikamenten behandelt. Im Verhältnis zu den zehntausenden Infizierten kommt diese Zahl fast lächerlich daher. Und 2008 laufen die Gelder des Globalen Fond aus, die einen großen Teil der ukrainischen AIDS-Programme finanziert haben. Eine finanzielle Absicherung von Seiten der Regierung ist bisher noch unklar. Auch ihr dürfte klar sein, dass es sich hier um lebenslange Behandlungen handelt. Und das HIV-Problem in der Ukraine hat ein junges Gesicht.

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