Interview
„Kinshasa vibriert“
TEIL 2
S.M.: Die Studenten, die wir dort kennen lernten, waren sehr viel aufgeschlossener und interessierter. Die aggressive Haltung haben wir eher bei Jugendlichen aus ärmeren Vierteln festgestellt. Gerade auch gegenüber internationalen Organisationen wie der
MONUC
. Denen wird gesagt: ‚Das kann doch nicht sein, dass ihr hier arbeitet, gebt mir lieber Arbeit.’
Hattet ihr je Angst um eure Sicherheit?
S.M: Das ist eine Frage der Wahrnehmung. Die deutsche Botschaft sah durchaus ein Sicherheitsproblem. Wir hatten dagegen nie das Gefühl, Angst haben zu müssen.
T.C.: Man lernt sehr schnell die Codes, die die anderen Leute dort anwenden, etwa wie man sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln in der Stadt fortbewegt. Ich glaube, dass die Leute in den Botschaften die Lage ganz anders wahrnehmen, weil sie in einem sehr behüteten Umfeld leben, das sie fast nie verlassen. Für den Vertreter des Botschafters war es sehr schwer zu verstehen, dass wir überhaupt dieses Projekt durchführen, dort fotografieren und die Orte ablaufen.
Kinshasa und Brazzaville liegen zwar nur wenige 100 m Luftlinie voneinander entfernt,
sind aber durch den Kongo-Fluss und eine Landesgrenze getrennt
. Wie stark sind die Städte denn miteinander verbunden?
S.M.: Der Fluss ist die Brücke. Die Städte sind aufgrund ihrer geografischen Lage völlig unabhängig voneinander entstanden. Der Kongo ist von genau dieser Höhe an nicht mehr beschiffbar. Das ist also der Umschlagplatz für Waren und Rohstoffe. Insofern waren beide Städte für ihre jeweiligen Kolonialherrscher strategisch wichtig, hatten jedoch ansonsten keine Verbindung zueinander. Sie gehören aber zum selben Kulturraum. Es gibt Verwandtschafts- und Sprachbeziehungen über den Fluss hinweg. Und natürlich eine starke Verbindung durch den Handel. Mehrmals am Tag fahren Fähren, und selbst wer sich die Fähre nicht leisten kann, kann den Fluss in einem der kleinen, billigeren Holzkanus überqueren.
T.C.: Die Grenze zwischen den beiden Ländern ist übrigens nicht klar definiert. Sie verläuft zwar innerhalb des Flusses, aber die Frage, wem einzelne Inseln oder auch das Wasser, das ja nutzbare Energie darstellt, gehören, ist nicht geklärt.
Welche Rolle spielt der Fluss im Alltag?
T.C.: Das ist sehr unterschiedlich. In Brazzaville ist der Fluss völlig frei zugänglich. Man kann dort Wäsche waschen, baden gehen und am Ufer sitzen. In Kinshasa ist der Fluss dagegen vollkommen abgeriegelt. Innerhalb der Stadtgrenzen ist er im Grunde gar nicht zu sehen. Das liegt einerseits an den vielen Industrieanlagen. Andererseits befinden sich hier die Botschaften und auch der Präsidentenpalast. Das ist also eine komplett militarisierte und privatisierte Gegend.
Ihr habt mit Architekturstudenten an der Universität von Kinshasa zusammengearbeitet. Wie lebt man dort als Student? Gibt es überhaupt ein Studentenleben?
S.M.: Interessant ist, dass fast alle Studenten nebenher ein Geschäft betreiben, um sich das Studium überhaupt finanzieren zu können. Man studiert also eher nebenher. Es gibt in Kinshasa eine von den Belgiern gegründete Universität, eine sehr schöne, moderne Anlage auf dem Berg. Aber seitdem ist da nichts mehr passiert. Die Unis sind allgemein schlecht bis gar nicht ausgestattet.
Wie wird denn dort gefeiert? Geht man in Discos oder trifft man sich auf der Straße?
T.C.: Kinshasa vibriert. Die Stadt hat den Ruf, die große Partystadt Afrikas zu sein. Von dort kommt unglaublich viel Musik. Alltag und Feiern wird ohnehin nicht so stark unterschieden. Gegen Abend sitzen alle, die es sich leisten können, rum, trinken Bier und hören laut Musik. Fast jeder Shop wird abends zur Kneipe. Das durchmischt sich am Sonntag mit kirchlichen Veranstaltungen. Der Gottesdienst ist dort sehr party-orientiert und laut. Irgendwie auch eine Art zu feiern.
Anschauen:
"Der Fluss ist die Brücke"
- Eine Bildergalerie zum Leben am Kongo
Gang über den Lisala Market in Kinshasa (Stadtteil Kasa Vubu) - Ausschnitt aus dem Video "Lisala Market" von Dirk Pauwel
Satellitenkarte von Brazzaville und Kinshasa
Weiterlesen:
BRAKIN. Brazzaville – Kinshasa. Visualizing the Visible, 320 Seiten, schwarzweiß und Farbe, in englischer Sprache, ist über die
Jan van Eyck Akademie
zu beziehen und kostet € 25,90
Kollateral-Frieden für den Kongo
– Deutschland steht an der Spitze der Kongo-Eingreiftruppe
Weiterlesen im 3. Teil »