Interview

„Kinshasa vibriert“

Was geht in der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo? Auf jeden Fall mehr als Bundeswehreinsatz und Wahlen. Die Künstlerin Tina Clausmeyer und die Architektin Sabine Müller waren dort.

Fragen von Christian Bangel und Chris Köver

Am vergangenen Sonntag wurde in der Demokratischen Republik Kongo zum ersten Mal seit vier Jahrzehnten frei gewählt. In der Hauptstadt Kinshasa sind 320 Bundeswehr-Soldaten als Teil einer 1.000 Mann starken EU-Truppe stationiert, um diesen Prozess abzusichern. Auch die Architektin Sabine Müller und die Künstlerin Tina Clausmeyer waren im Kongo unterwegs, allerdings in ganz anderer Mission. Für das interdisziplinäre Forschungsprojekt BRAKIN untersuchten sie 2005 den städtischen Alltag in Kinshasa und der Schwesterstadt Brazzaville am gegenüberliegenden Flussufer.

"Der Fluss ist die Brücke"- Eine Bildergalerie zum Leben am Kongo

Gang über den Lisala Market in Kinshasa (Stadtteil Kasa Vubu) - Ausschnitt aus dem Video "Lisala Market" von Dirk Pauwel

Kinshasa und auch Brazzaville stehen im Fokus der internationalen Aufmerksamkeit. Wie informiert man sich denn umgekehrt aus Kinshasa oder Brazzaville heraus über die Welt?

Sabine Müller: Mir schienen die Menschen dort zum Teil sehr gut informiert zu sein. Ich glaube, dass das in erster Linie übers Fernsehen passiert. Es gibt zwar nicht viele Apparate, dafür sitzt aber die gesamte Nachbarschaft davor. Das Fernsehen ist wie ein Magnet. 2005, als wir dort waren, hat die ganze Straße gemeinsam die Champions League geguckt.

Welche Rolle spielen Zeitungen?

Tina Clausmeyer: Ausländische Zeitungen gibt es nur wenige. Auf der Straße werden veraltete Zeitschriften aus dem Ausland angeboten. Die lokalen Zeitungen erscheinen sehr unregelmäßig, etwa alle drei Tage. Eine frische Zeitung wird an Wäscheleinen öffentlich aufgehangen und ist so für alle zu lesen. In Brazzaville gab es außerdem ausländische Zeitungen in den Kulturinstituten. Die waren vollkommen überfüllt, weil alle dorthin gingen, um sich zu informieren.

S.M.: Eine sehr wichtige Informationsquelle ist auch das so genannte „Radio Trottoir“, die Mundpropaganda. Wenn jemand etwas Wichtiges sagt, weiß das innerhalb einer Stunde das ganze Viertel. Uns sind auf unseren Gängen durch die Stadt häufig Leute begegnet, die genau wussten, wer wir waren, wo wir wohnten und teilweise sogar das Projekt kannten.

Und das Internet?

Das kommt erst langsam. Die Internetzugänge sind an das schlecht funktionierende Telefonnetz gebunden. Sie sind daher auf sehr wenige Stellen in der Stadt beschränkt. Nach Internetcafes muss man schon suchen. Außerdem sind sie für die Einheimischen sehr teuer. Ein Mobiltelefon hat dagegen jeder.

Wie kommt das?

Es gab letztes Jahr im ganzen Kongo 2,5 Mio. Mobiltelefon-Nutzer. Das ist sehr viel, wenn man sich vorstellt, dass es nur ca. 15.000 Festnetzanschlüsse gibt. Wer ein Handy hat, ist nicht mehr auf die Telefonleitungen angewiesen. Private Unternehmen stellen Antennen auf angemieteten Grundstücken auf. In einem Land, in dem es kaum staatliche infrastrukturelle Maßnahmen gibt, war das Handy auf einmal das einzige funktionierende Kommunikationsmittel. Das erklärt diesen Flächenbrand.

Für eure Projekt-Recherchen seid ihr hauptsächlich zu Fuß durch die Stadt gegangen. Wie haben die Menschen auf euch reagiert?

T.C.: Es gibt dort eigentlich keine Weißen auf der Strasse. Dementsprechend erstaunlich und unverständlich war es für die einheimische Bevölkerung, dass wir zu Fuß in der Stadt unterwegs waren.

S.M.: Die Reaktionen waren dann sehr unterschiedlich. In bestimmten Gegenden am Rande der Stadt hatten die Leute noch nie Weiße gesehen. Dort wurden wir häufig für Chinesen gehalten und mit ‚Ni Hau’ (Hallo) angesprochen. Wir wurden auch oft gefragt, wann denn die versprochene Strasse gebaut werde. Weiße werden automatisch für Ingenieure oder Missionare gehalten.

Wie ist das Bild von Deutschland oder den Deutschen?

S.M.: Nach unserer Erfahrung sind die Deutschen im Kongo recht angesehen, besonders im Unterschied zu den Franzosen und Belgiern, den unbeliebten ehemaligen Kolonialherren. Es gibt aber einen Generationenunterschied: Die Jugendlichen reagieren generell stärker ablehnend, während die Älteren sich eher beschweren: ‚Wieso habt ihr uns damals im Stich gelassen?’ Sie verbinden mit der Kolonialzeit noch Fortschritt, Wohlstand und Disziplin. Damals war auch die Polizei und die Armee noch das, was wir darunter verstehen. Die jungen Leute hingegen kennen – zumindest in Kinshasa – nur einen Staat, in dem nie in die Infrastruktur oder die Menschen investiert wurde. Sie haben verinnerlicht, dass die Ausländer hier sind, um sie auszubeuten. Dass ihre einzige Chance darin besteht, selbst nach Europa zu kommen.

Ist das nur ein Generationenunterschied oder gibt es da auch Unterschiede je nach Bildung und sozialer Schicht?

S.M.: Die Studenten, die wir dort kennen lernten, waren sehr viel aufgeschlossener und interessierter. Die aggressive Haltung haben wir eher bei Jugendlichen aus ärmeren Vierteln festgestellt. Gerade auch gegenüber internationalen Organisationen wie der MONUC . Denen wird gesagt: ‚Das kann doch nicht sein, dass ihr hier arbeitet, gebt mir lieber Arbeit.’

Hattet ihr je Angst um eure Sicherheit?

S.M: Das ist eine Frage der Wahrnehmung. Die deutsche Botschaft sah durchaus ein Sicherheitsproblem. Wir hatten dagegen nie das Gefühl, Angst haben zu müssen.

T.C.: Man lernt sehr schnell die Codes, die die anderen Leute dort anwenden, etwa wie man sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln in der Stadt fortbewegt. Ich glaube, dass die Leute in den Botschaften die Lage ganz anders wahrnehmen, weil sie in einem sehr behüteten Umfeld leben, das sie fast nie verlassen. Für den Vertreter des Botschafters war es sehr schwer zu verstehen, dass wir überhaupt dieses Projekt durchführen, dort fotografieren und die Orte ablaufen.

Kinshasa und Brazzaville liegen zwar nur wenige 100 m Luftlinie voneinander entfernt, sind aber durch den Kongo-Fluss und eine Landesgrenze getrennt . Wie stark sind die Städte denn miteinander verbunden?

S.M.: Der Fluss ist die Brücke. Die Städte sind aufgrund ihrer geografischen Lage völlig unabhängig voneinander entstanden. Der Kongo ist von genau dieser Höhe an nicht mehr beschiffbar. Das ist also der Umschlagplatz für Waren und Rohstoffe. Insofern waren beide Städte für ihre jeweiligen Kolonialherrscher strategisch wichtig, hatten jedoch ansonsten keine Verbindung zueinander. Sie gehören aber zum selben Kulturraum. Es gibt Verwandtschafts- und Sprachbeziehungen über den Fluss hinweg. Und natürlich eine starke Verbindung durch den Handel. Mehrmals am Tag fahren Fähren, und selbst wer sich die Fähre nicht leisten kann, kann den Fluss in einem der kleinen, billigeren Holzkanus überqueren.

T.C.: Die Grenze zwischen den beiden Ländern ist übrigens nicht klar definiert. Sie verläuft zwar innerhalb des Flusses, aber die Frage, wem einzelne Inseln oder auch das Wasser, das ja nutzbare Energie darstellt, gehören, ist nicht geklärt.

Welche Rolle spielt der Fluss im Alltag?

T.C.: Das ist sehr unterschiedlich. In Brazzaville ist der Fluss völlig frei zugänglich. Man kann dort Wäsche waschen, baden gehen und am Ufer sitzen. In Kinshasa ist der Fluss dagegen vollkommen abgeriegelt. Innerhalb der Stadtgrenzen ist er im Grunde gar nicht zu sehen. Das liegt einerseits an den vielen Industrieanlagen. Andererseits befinden sich hier die Botschaften und auch der Präsidentenpalast. Das ist also eine komplett militarisierte und privatisierte Gegend.

Ihr habt mit Architekturstudenten an der Universität von Kinshasa zusammengearbeitet. Wie lebt man dort als Student? Gibt es überhaupt ein Studentenleben?

S.M.: Interessant ist, dass fast alle Studenten nebenher ein Geschäft betreiben, um sich das Studium überhaupt finanzieren zu können. Man studiert also eher nebenher. Es gibt in Kinshasa eine von den Belgiern gegründete Universität, eine sehr schöne, moderne Anlage auf dem Berg. Aber seitdem ist da nichts mehr passiert. Die Unis sind allgemein schlecht bis gar nicht ausgestattet.

Wie wird denn dort gefeiert? Geht man in Discos oder trifft man sich auf der Straße?

T.C.: Kinshasa vibriert. Die Stadt hat den Ruf, die große Partystadt Afrikas zu sein. Von dort kommt unglaublich viel Musik. Alltag und Feiern wird ohnehin nicht so stark unterschieden. Gegen Abend sitzen alle, die es sich leisten können, rum, trinken Bier und hören laut Musik. Fast jeder Shop wird abends zur Kneipe. Das durchmischt sich am Sonntag mit kirchlichen Veranstaltungen. Der Gottesdienst ist dort sehr party-orientiert und laut. Irgendwie auch eine Art zu feiern.

Anschauen:

"Der Fluss ist die Brücke" - Eine Bildergalerie zum Leben am Kongo

Gang über den Lisala Market in Kinshasa (Stadtteil Kasa Vubu) - Ausschnitt aus dem Video "Lisala Market" von Dirk Pauwel

Satellitenkarte von Brazzaville und Kinshasa

Weiterlesen:

BRAKIN. Brazzaville – Kinshasa. Visualizing the Visible, 320 Seiten, schwarzweiß und Farbe, in englischer Sprache, ist über die Jan van Eyck Akademie zu beziehen und kostet € 25,90

Kollateral-Frieden für den Kongo – Deutschland steht an der Spitze der Kongo-Eingreiftruppe

Nach Hause — Zuender. Das Netzmagazin.

32 / 2006
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