Graffiti
Täglicher Textkampf
TEIL 2
Eine Art ihrer Herangehensweise sind
Stadtspaziergänge
, die das Graffiti-Museum anbietet. So waren sie zuletzt mit einer Seniorengruppe aus dem Berliner Bezirk Kreuzberg unterwegs, um zu sehen, ob man die Straße als Zeitung lesen könne. Zum einen die gehegten Texte, Straßenschilder und Werbung etwa, und zum anderen die Tags. Was verraten sie über die Sprachmelodie, in welcher Höhe wurden sie angebracht, in welcher Stimmung war der Autor, als er sie verfasst hat. Am Seniorenheim beispielsweise stand "Maxim" mit der Fußnote "rest in peace". Ist Maxim gestorben oder handelt es sich um ein Palindrom, eine Wortspiegelung? Steht Maxim für etwas Großes?
Der Spaziergang war Teil eines Workshops einer Künstlerin, der versuchte, Jüngere mit Älteren zusammen zu bringen. Und die Jüngeren sollten den Älteren etwas beibringen. Zum Beispiel welche poetische Kraft Schriftzüge besitzen. Und welche Sinne sie ansprechen können. Ihr Fazit ist, dass Graffiti nicht prinzipiell auf Ablehnung stößt: "Die Senioren hatten keine Probleme mit den Schriftzügen an den Wänden und haben sehr gerne mit uns die Fassade von heute gelesen", sagt Jo.
Ist Graffiti also nun öde geworden und hat sich die öffentliche Meinung gedreht? Der Soziologe Reinhold Sackmann, Professor an der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg hat eine
Studie über "Graffiti zwischen Kunst und Ärgernis"
gemacht, die möglicherweise der Wahrheit am Nächsten kommt. Eine Reihe von Testpersonen hat neun Grafitti-Bilder zur Ansicht bekommen und sollte diese nach ihrer Ästhetik beurteilen. Ihre Bewertung stimmte dabei mit denen der Writer überein. "Das Publikum kann künstlerische Qualität anerkennen. Trotzdem ist die Mehrheit der Meinung, Graffiti solle bestraft werden", fast Sackmann seine Ergebnisse zusammen. Doch neu ist diese Haltung nicht - woher hätte Graffiti sonst sein rebellisches Image?
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