FREAKS
Es leben die Freaks (II)
Es gibt ihn, den Lebensweg, der nicht in gerader Linie vom Abi übers BWL-Studium in
      eine "vielversprechende" Karriere mündet. Heute: Adi aus Dresden, der zeigt, dass die
      Baustelle keine Einbahnstraße ist.
aufgezeichnet von André Hennig
 Als ich mir die letzten 15 Jahre von Adis Lebensgeschichte noch mal in komprimierter Form
      anhörte, war irgendwann ums Millenium herum mein Notizbüchlein voll. Adi half mit benutztem
      Kopierpapier aus. Auf der Rückseite des Blattes stand ein Zitat, Schriftgröße 48: "Du musst
      sie dir vorstellen, damit sie Wirklichkeit werden kann, die Welt voller Menschen, die tun, was
      sie wollen." Klingt total konstruiert, stimmt aber wirklich. Manchmal passt eben alles
      zusammen. 
    
Andreas G., den alle Adi nennen, ist mit 16 von zu Hause weg. Die Optionen damals:
      stinknormales Abi in Dresden oder "Berufsausbildung mit Abitur", wie es zu der Zeit hieß. Das
      war Ende der 80er und das ist lange, lange her. Adi entschied sich für letzteres, eben weil er
      raus wollte aus der behüteten, piefigen Elternhauswelt. Der Beruf hieß "Industriekeramiker"
      und die Ausbildung fand irgendwo in der Niederlausitzer Braunkohlenpampa statt. Warum gerade
      das? Er versucht es so zu erklären: "Wenn du 16 bist, weißt du nicht was du willst. Du glaubst
      deinen Eltern noch. Wenn die sehen, dass du gern mit Bauklötzern gespielt hast, denken sie,
      das wär’ doch was für den Jungen. Was mit Bau, Bauingenieur oder Architekt."
Als Adi 1991 Beruf und Abitur in der Tasche hatte, war die Welt seit fast zwei Jahren viel
      größer als vorher. Er ging trotzdem zurück nach Dresden, begann brav Bauwesen zu studieren.
      "Das passte halt so ran." Adi hat es schon nach kurzer Zeit als furchtbar empfunden, es
      interessierte ihn einen Scheißdreck, wie er sagt. "Die Entscheidung für diesen Lebensweg war
      verfrüht", stellt er heute weise fest. Da kam die Einberufung wenige Monate nach Studienbeginn
      gerade recht. Das hieß Zivildienststelle suchen, es wurde die "Volkssolidarität", Der Verein,
      der irgendwie nach KdF klingt, kümmert sich um Alte und Behinderte. Adi war, wie so viele
      Zivis, Essen auf Rädern. "Auch wenn’s komisch klingt, das war eine Art Offenbarung", erzählt
      er. "Nicht wegen des Jobs. Aber die Volkssoli war damals ein Sammelpunkt für ‚Gestrandete’,
      Typen, denen Karriere scheißegal war, Musiker, Möchtegernkünstler, Leute denen es wichtiger
      war, durch die Welt zu trampen, als sein Leben durchzuplanen."
An die Uni ist er danach nicht zurück gegangen. Ironie des Schicksals: Das akademische
      Bauwesen war gegessen, aber Adi ging auf dem Bau jobben. Dort gab’s Mitte der 90er noch
      ordentlich Kohle. Ein Ziel hatte er dabei nicht, es war wie so oft: Man weiß ganz gut, was man
      nicht will, was man will, weiß man nicht. "Doch, einen Plan gab es", lenkt Adi ein, "die Welt
      bereisen, einmal ringsrum." Hat er dann mit einem Kumpel auch versucht. Ist durch Polen
      getrampt, danach mit der Transsibirischen Eisenbahn bis zum Baikalsee, dann wieder getrampt,
      bei 20 Grad minus im offenen Seitenwagen zur chinesischen Grenze. Tibet war damals für
      Rucksacktouristen noch gesperrte Zone, ihr Ziel war trotzdem Lhasa. Das Absurde: Es war kein
      Problem sich von Armeelastern mitnehmen zu lassen, nur die Polizei war gefährlich. Natürlich
      wurden sie dann irgendwann hochgenommen. Der Weg nach Lhasa und weiter zur indischen Grenze
      war da aber schon kürzer als der ganze Weg zurück durchs verbotene Tibet. Das leuchtete auch
      den chinesischen Bullen ein, sechs Dollar Strafe reichten. Viel weiter führte die Weltreise
      Adi und seinen Weggefährten dann doch nicht, das Geld reichte gerade noch bis Goa.
Zurück in Dresden haben Adi und einige Kumpels vom Bau ein Gewerbe angemeldet, mit Anfang 20
      waren sie jetzt "freischaffende Bauarbeiter". Es schien ihnen so, als würde da mehr Geld
      hängen bleiben. Hat auch erst mal funktioniert. Sie lernten einen bayrischen Steinmetz kennen,
      einen 68er, wie man sich heute kaum noch getraut zu sagen. Im Unterschied zu allseits
      bekannten Pappenheimern war Lou aber im Grunde seines Herzens immer noch Hippie. Er brachte
      ihnen das Handwerk bei, zusammen restaurierten sie bayrische Kirchen. Nebenher gründete Adi
      mit einigen Freunden eine Band. Mit Akkordeon, Gitarre, Percussion und Klarinette. Das klang
      überhaupt nicht nach Charts-Platzierungen, Millionengagen und dicker Limousine. Trotzdem war
      da der Anspruch, irgendwann vielleicht davon leben zu können. "Klar war das naiv", meint Adi,
      "aber Naivität brauch’s auch, um wirklich Feuer zu entwickeln. Sonst würdest du vieles gar
      nicht anfangen." Mainstream wollten sie nie sein: "Popmusik – da gibt’s so viel Mittelmaß, wir
      dachten, wir können’s besser. Und wir haben von Anfang an deutsch gesungen, obwohl das Ende
      der 90er so was von out war." Natürlich sind sie damit nicht reich geworden, aber immerhin
      gibt es Sneppedalen, wie die Band heißt, immer noch. Und demnächst erscheint das zweite
      Album.
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