Die Erinnerung quält sie, weil die Krankheit ihr so viel genommen hat. Sie war einmal selbstständig, hatte einen eigenen Laden, in dem sie Bücher und Spielzeug verkaufte. Mit 43 konnte sie nicht mehr. Seitdem ist sie Frührentnerin. Sie macht Telefonumfragen, manchmal bekommt sie einen Komparsenjob an der Oper.
Seit Madlaine von ihrer Infektion weiß, versucht sie, so viel wie möglich über das Virus zu erfahren. In Kalkutta arbeitete sie beim Orden Mutter Theresas, beschäftigte sich mit dem Tod. Immer wieder besuchte sie seitdem die Schwestern dort. In Deutschland fing sie an, sich bei der AIDS-Hilfe einzubringen, lernte Menschen kennen, die ihr Schicksal teilten. Sie pflegte einen jungen Mann. Stundenlang saß sie an seinem Bett, fütterte ihn mit Teelöffeln, sah zu, wie er erblindete. Als er starb, war er gerade einmal 22 Jahre alt.
Sie selbst spürt die Krankheit immer mehr. Manchmal ist sie tagelang zu schwach zum Aufstehen, kann ihre Wohnung kaum noch verlassen. Immer öfter ist sie krank. Immer öfter verschwimmen beim Lesen die Buchstaben vor ihren Augen. Und immer öfter erinnern sie diese Dinge an das Virus.
Sie versucht, ihre Schwäche zu verbergen
Zu dem, was das Virus anrichtet, kommt das, was die Menschen anrichten. Eine alte Freundin brach den Kontakt ab. Aus Angst um ihre Kinder, wie sie sagte. Ein Freund weigerte sich, ihr seine Hand zu geben. Er wolle sich nicht anstecken.
Vorurteile und Unwissen sind für Madlaine kein Grund, zu verheimlichen, dass sie krank ist. Das Thema werde von so vielen totgeschwiegen, meint sie. „Wenn ich schweige, habe ich auch Schuld.“ Wenn sie sich schlecht fühlt, schminkt sie sich besonders gut, macht sich besonders schick, um ihre Schwäche zu verbergen. Und dann ist sie sauer auf sich selbst. Weil sie mitarbeitet an dem Eindruck, AIDS sei nicht so schlimm.