HIV
„Ich will mich nicht verstecken“
TEIL 3
Bald wird sie es nicht mehr verbergen können. Dann wird die Krankheit so schlimm sein, dass sie auf Hilfe angewiesen ist. Sie will so lange in ihrer Wohnung im ersten Stock wohnen bleiben, wie es irgendwie geht. „Ich ziehe erst aus“, sagt sie, „wenn ich ins Krankenhaus muss.“ Wer dann die Wohnung auflöst, ist bereits geklärt. Ein Grab hat sie auch schon, und einen Kreis von AIDS-Kranken, die sich gegenseitig versprochen haben, ihre Gräber zu pflegen. Sie hat sich mit ihrem Vater versöhnt, ihre Schulden bezahlt. Madlaine ist erst 47. Selbst für ihren Kater hat sie schon ein neues Zuhause gefunden.
Madlaine könnte die Krankheit hinauszögern, aber sie will nicht. „Ich kann für 3.000 Euro im Monat Tabletten schlucken, weil ich hier geboren bin“, sagt sie. „Ein anderer, der vielleicht in China oder Indien geboren ist, der vielleicht viel intelligenter und viel wichtiger und vielleicht moralisch besser ist als ich, muss früher sterben.“ Madlaines Zeit in Kalkutta hat sie bescheiden gemacht.
Sie will nicht dauernd auf ihre Blutwerte gucken. Sie will auch nicht von anderen gewaschen werden müssen, so wie sie es schon oft selbst getan hat. Aber wie ihr Tod sein wird, wie lange es dauern wird, das kann sie nicht wissen. Wenn das Thema so konkret wird, wird auch die offensive Madlaine sehr still. Leise sagt sie: „Meine Hoffnung ist, dass es schnell geht.“
Von Christoph Herwartz