Boliviens Kleinbauern weigern sich, Kaffee anzubauen. Sie halten ihn für gesundheitsschädlich. Ist das nicht ironisch?
Von Selim Özdogan
In Bolivien ist sowohl der Anbau von Koka legal, als auch das Kauen der Blätter des Strauches. Männer mit von den Blättern ausgebeulten Wangen gehören zum Straßenbild.
Koka ist eine immergrüne Pflanze, die bis zu dreimal jährlich geerntet werden kann und nicht viel Pflege benötigt. Dass nicht die ganze Ernte in den Backentaschen der Einheimischen landet, sondern auch andere Dinge damit passieren, ist jedem klar.
Es braucht streckenweise einiges an Bemühen, um die Bauern dazu zu bewegen, den arbeitsintensiveren Kaffee anzubauen. Auch bei den Versammlungen der Kaffeebauern wird Koka gekaut. Kaffee wird nicht getrunken, weil man den hier für gesundheitsschädlich hält.
Die Menschen bauen etwas an, dessen Geschmack ihnen zuweilen nicht bekannt ist. Welchen Stellenwert Kaffee in diesem Land hat, kann man auch daran erkennen, dass man ihn eher in löslicher Form kaufen kann, anstatt als geröstete und gemahlene Bohnen.
Und ganz nebenbei: In Italien wird kein Kaffee angebaut und in der Schweiz kein Kakao. Die Welt ist seltsam gestrickt.
Die Vorsitzenden der Versammlungen der Kaffeebauern, gebildetere Leute, versuchen Überzeugungsarbeit zu leisten und erzählen den Menschen, dass Kaffee so schlimm ja nicht sein kann, da er in Europa und Nordamerika hektoliterweise konsumiert wird. Europa und Nordamerika, die Paradebeispiele für entwickelte Gesellschaften.
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Doch selbst wenn Kaffee völlig gesund wäre, die Argumentation, die hier gebraucht wird, führt nirgends hin. Millionen von Europäern und Nordamerikaner fliegen, bauen Rechenzentren oder finden sonst einen Weg, um noch mehr Kohlendioxid zu produzieren. Millionen von Nordamerikanern und Europäern essen in Fastfoodketten, obwohl sie um den Nährwert der Speisen wissen und machen sonst noch so einiges, das nicht als gutes Beispiel herhalten kann.
Man muß mit dem Bauern in der Sprache reden, die er versteht, das leuchtet mir ein, aber ich denke, man muss ihn auch von dem Irrglauben abbringen, dass die westlichen Gesellschaften mehrheitlich alles richtig machen und wissen, wo es langgeht.