Fitness, Autos, Fußball. Jedem ist irgendetwas wichtig. Aber was davon ist es wirklich?
Die Kolumne von Selim Özdogan
Mein Onkel erzählt, wieviel er im Sommer zugenommen hat, obwohl er in seinem langen Urlaub so sehr auf seine Ernährung geachtet hat. Und wie froh er ist, jetzt wieder jeden Morgen anderthalb Stunden ins Fitneßcenter zu gehen. Weil allein die richtige Ernährung ja nicht ausreicht, Bewegung muss auch sein.
Er kennt sich aus mit Ernährung und Bewegung, die letzten Jahre hat er so oft zwischen 80 und 110 Kilo geschwankt, dass er insgesamt bestimmt 300 Kilo zu und wieder abgenommen hat. Er ist Experte und sagt, dass ich sowieso nicht mitreden kann, weil ich nicht weiß, wie es ist viel zu viele Pfunde mit sich rumzuschleppen. Einen Großteil des Tages ist er mit seinem Gewicht und seinem Wissen darüber beschäftigt.
Meine Cousine sagt auch, dass ich nicht mitreden kann, weil man mehrere Folgen der Serien gesehen haben muss, um sich ein Urteil bilden zu können. Das Argument kenne ich schon, ich habe es oft gehört, bei
Ally McBeal
, bei
Friends
,
Sex and the City
und wovon man mir noch alles einreden wollte, ich müßte es nur öfter gucken, damit ich es auch gut finde. Und ich habe es nie geschafft auch nur eine Folge bis zum Ende zu sehen.
Meine Cousine hält die Wochentage anhand der Serien auseinander, die sie schaut, wenn
Sowieso
läuft ist es Montag, wenn
Dingsda
läuft Dienstag und so weiter. Sie ist überall auf dem laufenden und bevor sie erfuhr, dass man verpasste Folgen im Netz finden kann, hatte sie schon mal schlechte Tage, wenn ein Elternabend anstand oder unangekündigter Besuch kam.
Mein Cousin kennt sich mit Fußball aus. Dass ich da nicht mitreden kann, merkt man schon daran, dass ich von selbst den Mund halte. Ich kenne weder Spieler, noch ihre Qualitäten, noch den aktuellen Tabellenstand und das in keinem Land, während er in mindestens zwei Ländern Experte ist, Deutschland und Türkei, und bei einigen weiteren weitgehend mitreden kann, Frankreich, Spanien, Italien, England.
Jeder füllt sein Leben anders und ich bin meiner Familie gegenüber noch wohlwollender als Fremden gegenüber. Sie mögen sich mit Sachen beschäftigen, die mich nicht interessieren, aber sie sind mir der stärkste Rücken, den ich je hatte.
So ein Leben, in dem man sich mit nichts beschäftigt, kommt einem ziemlich schnell ziemlich leer vor. Aber die Dinge, mit denen man seine Zeit füllt, sind möglicherweise nicht qualitativ geschichtet. Vielleicht ist Fußball nicht besser als Lesen, Abnehmen nicht besser als flexibler werden, Fernsehen nicht schlimmer als sein Geld in den CD-Laden zu tragen.
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Man kann mitleidig lächeln, wenn der Mann meiner Cousine über Autos redet und man den Eindruck bekommt, er kann die Felgen am Fahrgeräusch erkennen. Man kann genauso mitleidig lächeln über jemanden, der alle Klassiker gelesen hat, aber eine Gebrauchsanleitung für einen Wagenheber braucht.
Leben braucht halt einen Inhalt, aber man neigt sehr oft dazu, den eigenen Inhalt gehaltvoller zu finden, als den der meisten anderen. Dabei ist es wahrscheinlich egal, eine Beschäftigung ist nicht besser oder schlechter als eine andere. Letztlich sind alle möglicherweise nur eine Flucht vor der Langeweile. Oder dieser erschreckenden Leere.