In einer Bar aufs Klo gehen und besoffen wiederkommen? Eine seltsame Art betrunken zu werden, beschreibt
Selim Özdogan in seiner Kolumne
Es ist jetzt acht Jahre her, dass ich das letzte Mal betrunken war. Und fast genauso lange, dass ich die Anzahl der alkoholischen Getränke, die ich in einem Jahr trinke, an den Händen abzählen kann. Ich bin nicht sonderlich stolz drauf, ich habe andere Laster. Es ist einfach nur eine andere Art zu leben, so wie Trinken auch eine Art zu leben war.
Das bedeutet, dass ich nicht mehr oft in Kneipen gehe, weil ich nicht weiß, was ich da eigentlich soll. Vor allen Dingen gehe ich nicht in Kneipen, aus denen ich früher immer nur alkoholisiert rausgekommen bin. Nicht angeschickert oder beschwippst, sondern besoffen.
Ich war mit vier Frauen unterwegs, die in genau einen dieser Läden wollten, in denen ich viele Nächte mit Bier, Erdnüssen und Kümmerlingen verbracht habe, den ich aber die letzten zehn Jahre nicht mehr betreten hatte.
Stell dich nicht so an, habe ich gedacht, bin mitgegangen und habe mir ein Beck's bestellt.
Da waren viele Erinnerungen an Zeiten, die so was von vorbei sind, dass es mir manchmal scheint, als stammten sie aus dem Leben eines anderen. Doch dass die Bilder in meinem Gedächtnis streckenweise so verschwommen waren, hat wohl nur am Rande damit zu tun, dass es lange her ist.
Irgendwann musste ich aufs Klo und da wurde die Erinnerung auf einmal sehr lebendig und real.
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Die meisten kennen das, nehme ich an, während man dasteht, hat man nicht das Gewusel um sich herum, man versucht nicht, einem Gespräch zu folgen oder eins zu führen. Man kann sich auf sich selbst konzentrieren, inne halten, durchatmen, versuchen den Grad der Trunkenheit zu ermessen, den man schon erreicht hat.
Ich nehme an, man kennt das, wenn man sich als Mann mit dem Kopf gegen die Kacheln leht, während am Pissoir steht, wenn man sich als Frau auf die Klobrille setzt, weil jetzt alles egal ist, ich nehme an, man kennt das, diese Zeichen schleunigst nach Hause zu gehen, die man so selten beachtet hat.
Und offensichtlich habe ich das auf diesem Klo so oft gemacht, dass mich irgendwelche eingeschliffenen Erinnerungsspuren einfach in eine merkwürdige Trunkenheit katapultieren. Ja, ich fühlte mich mit einem Mal besoffen. Noch nicht so voll, dass einem schon die Knie einknicken, aber auch nicht so weit davon entfernt. Es war seltsam. Überraschend. Schön.
Dieser Zustand hielt etwa so lange, bis ich das Klo wieder verließ.
Ich werde demnächst einfach öfter mal zum Pinkeln in diese Kneipe gehen.