Selbstdarstellung
Gezeter
Warum nur verbringen wir soviel Zeit damit, anderen mitzuteilen, dass wir Lehrer, Punks oder Skater sind?
Die Kolumne von Selim Özdogan
Dass Bodybuilder wie Bodybuilder aussehen, Zwerge wie Zwerge und Menschen mit mehr Pigmenten dunkler sind, leuchtet mir ein. Aber wenn ich im Kino sitze und mir irgendeinen Arthouse-Kram ansehe, der in meinen Augen in der Regel auch nicht origineller und besser ist als eine Mainstreamhollywoodproduktionen, bin ich erstaunt, wieso das Publikum so nach Arthouse-Publikum aussieht. Warum alle so intellektuell wirken und warum Intellektuelle so außerordentlich oft dunkle Farben tragen oder diese praktische Outdoorkleidung, die in der Stadt niemand braucht.
Und wenn ich mir eine stumpfe massenkompatible Komödie ansehe, über die ich lachen kann, scheinen alle Jungs das gleiche Haargel zu benutzen, um ihre Haare dann geringfügig verschieden zu stylen. Die jungen Frauen tragen Tops, von denen das Arthouse-Publikum nicht mal weiß, wo es sie gibt.
Die wenigen Male, die ich auf Vernissagen war, sind die Leute mit den extravaganten Frisuren und knallgelben Jackets, die mit dem Beuys-Hut und den seltenen Vanillezigarillos, die mit der Glatze und der schwarzen Hornbrille die Künstler.
Das habe ich noch nie verstanden, wenn du schon Künstler bist, warum hast du dann so ein dringendes Bedürfnis auch wie einer auszusehen? Oder vielmehr wie ein Klischee eines Künstlers. Ich dachte immer, die wollen originell sein. Aber gerade das ist es wahrscheinlich, sie wollen originell sein.
Skater sehen oft aus wie Skater und Punks wie Punks, Indiehörer wie Indiehörer, Professoren wie Professoren. Das sind alles Individuen und es ist weder gerecht noch richtig so zu verallgemeinern, wie ich das hier tue. Jeder ist ein eigener Mensch. Und daß man sich wohler fühlt, wenn man auch durch seine Kleidung die Zugehörigkeit zu einer Gruppe signalisiert, leuchtet mir auch ein.
Doch gleichzeitig stört es mich, daß jeder irgend etwas darstellen will und dann so viel Aufhebens darum macht. Der eine möchte cool sein, der nächste klug, der übernächste sexy, mächtig, erfolgreich, nur reich, gebildet, gewitzt, verheiratet, dreist, Vater, Mutter, Lehrer. Alle wollen irgend etwas. Und halten das, was sie wollen, für richtig. Aber sie machen so viel Wind darum, daß er mir ständig ins Gesicht bläst. Sie tun alles um sich zu unterscheiden von den anderen und um ihresgleichen ähnlicher zu sehen. Nahezu jeder glaubt, daß ausgerechnet sein Lebensstil der richtige ist. Und selbstbestimmt obendrein. Vielleicht liegt es ja an mir, daß ich diesen Glauben oft nicht habe.
Ich würde am liebsten nichts sein, gar nichts mehr. Damit auch mein Gezeter aufhört, damit auch ich aufhöre mir einzubilden, ich wäre irgendwie wichtig. Damit auch ich aufhöre mich abzugrenzen. Und anfange mich mit allen verbunden zu fühlen, egal wie sie aussehen.
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