Stell dir das schlimmste vor, das dir passiert ist. Oder passieren könnte... Das ist noch gar nichts. Na und?
Die Kolumne von Selim Özdogan
Das Leben schert sich einen Dreck um Glaubwürdigkeit.
Stell dir vor, seitdem du 14 bist bekommst du Durchfall, wenn du starken Stress hast oder sehr nervös bist. Nicht so einen Durchfall, wie sich Menschen in fernen Ländern schon mal holen, drei Tage flachliegen und zwei Wochen später Witze darüber machen. Nein, Koliken mit einem Durchfall, der dich von innen auseinanderreißen will, Durchfall, der dir den Schweiß auf die Stirn treibt, die Luft aus den Lungen und den Willen aus dem Leben.
Stell dir vor, was es dich die nächsten sieben Jahre kostet, um dieses Problem in den Griff zu kriegen. In was für einen Stress es ausarten kann, keinen Stress bekommen zu dürfen, nicht nervös zu werden, wie die Angst vor Durchfall schon die ersten Anzeichen von Krämpfen in deine Eingeweide schickt.
Stell dir vor, du studierst, wirst Sportlehrer, findest eine Frau, ziehst mit ihr zusammen und die nächsten zehn Jahre hast du gerade mal drei Anfälle. Du gehst aber alle drei Monate zum Arzt, weil er deinen irreperabel angegriffenen Darm unter Beobachtung halten möchte.
Stell dir vor, du spielst mit deinen Schülern Basketball und dabei knallt ein besonders ungelenker mit seinem Kopf gegen deinen und ihr habt beide eine Platzwunde an der Augenbraue. Hinterher denkst du, dass du als Sportlehrer vielleicht mal einen Aidstest machen solltest. Dir fällt bis auf eine betrunkene Nacht vor zehn Jahren keine Gelegenheit ein, wo du dir so etwas geholt haben könntest. Aber sicher ist sicher.
Das Testergebnis ist positiv. Der Arzt sagt, dass das auch an den Medikamenten liegen kann, die du früher immer genommen hast und die die Leber angegriffen haben. Er möchte einen zweiten machen.
Zwei Tage später ruft der Arzt an, der immer routinemäßig deinen Darm kontrolliert. Er sagt, alles deute darauf hin, dass du eine Gewebewucherung hast, ob gutartig oder nicht kann er nicht sagen.
Aids und Krebs innerhalb von zwei Tagen.
Der zweite Aidstest fällt negativ aus, das Geschwulst ist gutartig. Aber die vier Tage, bis du diese beiden Befunde erfährst, dauern lange und haben nicht nur keine Farbe, sondern einen Sog, der dich in ein bodenloses Dunkel zieht.
Und nun stell dir vor, du sitzt auf der anderen Seite am Küchentisch und hörst dir diese Geschichte an. Würden dir Worte des Trostes einfallen? Würdest du dem Herrn danken, dass du auf dieser Seite sitzt? Würdest auch nur ein einziges Wort über deine eigenen Probleme verlieren wollen?