Sinnsuche
Vielleicht hängt alles so zusammen
Die Wahrheit kann so unglaubwürdig sein, dass wir uns lieber verschulden als sie zu verteidigen.
Von Selim Özdogan
Zehn Jahre war ich schon aus der Schule, als ich anfing von meiner Mitschülerin Natalie Pullmann zu träumen. Nicht jede Nacht, aber über Wochen hinweg sehr häufig. Mal traf ich sie auf einer Party, mal waren wir gemeinsam aus, mal telefonierten wir, mal verliefen wir uns in einem Kaufhaus. Ich begehrte sie nicht, wir hatten keine Auseinandersetzungen, ich hatte keine wiederkehrenden Gefühle. Ich konnte diese Träume einfach nicht deuten. Es hörte nicht auf, wochenlang besuchte Natalie mich in der Gunst der Nacht.
Wir hatten uns zu Schulzeiten ganz gut verstanden, aber nicht gut genug, um jetzt noch Kontakt zu haben. Nach fast zwei Monaten entschied ich, daß ich etwas tun musste. Ich rief die alte Nummer an und ließ mir von ihrem Vater Natalies neue Telefonnummer geben.
Sie war erstaunt. Wäre ich wohl auch gewesen. Ich sagte ziemlich bald, daß ich eigentlich nur angerufen hatte, weil sie in letzter Zeit die Hauptrollen in meinen Träumen bekam. Wir plänkelten ein wenig, eine halbe Stunde vielleicht, dies und das, man kennt das.
Gegen Ende des Gespräch wollte sie wissen, warum ich denn nun angerufen habe. Ich wiederholte die Wahrheit, aber sie klang wohl so unwahrscheinlich, daß sie sie nicht glauben wollte. Also fragte ich sie, ob sie mir 5000 Mark leihen könne. Auch das glaubte sie mir nicht oder tat wenigstens so. Danach habe ich nie wieder von ihr geträumt.
Manchmal denke ich, vielleicht hängen viele Dinge so zusammen. Irgend jemand träumt irgend etwas und tut dann etwas, das weder er noch wir verstehen. Das nennen wir dann Leben und versuchen ihm einen Sinn unterzujubeln. Dabei ist es meistens einfach nur schön.
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