Fortschritt
Wie in alten Zeiten
Es gibt Leute, die spielen unser Spiel nicht mit. Sie haben keinen iPod, schreiben keine E-Mails und wollen keinen eigenen Podcast. Diese Leute gibt es wirklich
Von Selim Özdogan
In der Straßenbahn saßen wie immer jede Menge Menschen mit MP3-Playern und mir gegenüber ein Mann, der das kleine Ding in seiner Hand umständlich an der Scheibe hochhielt und grinsend den Klängen in seinem Kopfhörer lauschte. Es dauerte einige Sekunden, bis ich begriff, dass er ein Radio hatte und um den besten Empfang bemüht war. Als wir in einen Tunnel fuhren, ließ er Hand und Mundwinkel sinken.
Ein Radio. In Zeiten von Podcasts. Ich war beeindruckt und fragte mich, welche Sendung oder Musik einem wohl so ein Lächeln ins Gesicht zaubert.
Und danach machte ich mir Gedanken darüber, dass Radiohören ein wenig so ist, wie Musikhören früher gewesen sein muß. Vor Tonträgern. Man kann es nicht festhalten. Alles ist nur einen Augenblick lang da.
Thommie Bayer sagte mal, dass MP3-Player Musik wieder zu dem gemacht haben, was sie mal war: ein sinnliches, nicht greifbares Erlebnis.
Natürlich kann man sich darüber unterhalten, dass mit dem Rückgang von Vinyl das Gesamtkunstwerk eines Albums geschmälert worden ist. Oder dass man gewisse CDs einfach im Regal stehen haben muß, dass ein MP3 Download nicht ausreicht.
Man kann darüber reden, als könnte man Musik tatsächlich besitzen. Man kann auch über sein Leben reden, als würde es einem selbst gehören und einem nicht wieder genommen werden.
Ich fand es schön. Ein Mann, der zwischen uns sitzt und etwas hört, das wir möglicherweise verlernen werden. Ich hoffe, es wird sie immer geben diese Menschen, die in der Straßenbahn Radio hören, Postkarten statt Emails schreiben, oder gar echte Briefe, Videosbänder anschauen statt DVDs, pünktlich sind statt eine SMS zu schreiben, denen Abkürzungen mit drei Buchstaben wenig sagen und denen Bluetooth scheissegal ist. Menschen, die in ihrer eigenen entschleunigten Welt leben und von dort zu uns herauslächeln.
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