Selim
Auf der Festplatte horten
Selim wundert sich: Wozu machen Menschen Bilder von Dingen, die sie sich sowieso nie wieder ansehen? Passen die Schuhe, vergisst man die Füße
Von Selim Özdogan
Japanische Touristen fielen lange Zeit dadurch auf, daß alle eine Kamera in der Hand hatten und pausenlos Fotos machten. Möglicherweise merkten sie dann zu Hause, daß sie die fremden Länder und Orte eigentlich nur durch das Objektiv ihrer Kamera gesehen hatten und sie freuten sich, dass sie dafür nun wenigstens die Fotos hatten.
Die Zeiten haben sich geändert. Fast jeder Europäer scheint eine Digitalkamera zu besitzen und selbst wenn man keine hat, ist das Mobiltelefon meistens in der Lage auch Fotos zu machen.
Zurzeit bin ich als Stipendiat des
Literaturbüros NRW
in Madrid und schiebe mich öfter mal eingeklemmt zwischen lauter anderen Touristen an den Attraktionen der Stadt vorbei. Es macht keinen Unterschied, ob es Engländer, Franzosen, Italiener, Schweden, US-Amerikaner oder sonstwas sind – die meisten fotografieren, was das Zeug hält, man könnte sie glatt für Japaner halten. Ich habe keine Kamera dabei und sehe mir lieber alles gleich an. Und werde den Verdacht nicht los, daß die anderen sich den Kram auch daheim nicht ansehen. Fünfzehnhundert Fotos von Madrid – wer will das sehen, wenn er wieder in Erkenschwick oder sonstwo sitzt?
Da sind Menschen, die fotografieren die Erklärungstafeln neben den Ausstellungsstücken im Museum – kein Scherz. Setzen die sich dann zu Hause an den Rechner und lesen nach, was das eigentlich war, das sie auch nicht wirklich gesehen, sondern nur abgelichtet haben?
Mir scheint, es wird sowieso zuviel fotografiert seit es so einfach und billig ist. Die meisten dieser Bilder landen ja am Ende nicht auf Fotopapier, sondern in irgendwelchen Ordner auf dem Rechner, wo man sie sich nur äußerst selten ansieht und im Zweifelsfall das Bild, das man sucht, sowieso nicht findet.
Möglicherweise folgen wir mit den Digitalkameras uralten Höhlenbewohnerinstinkten – Jagen und Sammeln. Nur hat der Höhlenbewohner für Notzeiten gesammelt, aber was für eine Not soll das sein, wenn man sich eines Tages vor den Rechner setzt und sich die 25.000 Fotos aus den letzten zwei Jahrzehnten ansieht?
Haben, es geht um Haben, selbst bei diesen Fotos, die nicht als greifbare Objekte existieren. Es verschafft Befriedigung auf der Festplatte mehr Fotos zu haben, als ein Japaner, der schon 132 Ländern bereist hat. Auch wenn man sie nie betrachtet. Und ich glaube, immer wenn es mehr um Haben als um Sein geht, ist man eigentlich schon auf dem Weg weg vom dauerhaften inneren Frieden.
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