Quelltexte
Glücklicher Tod
Bei nächtlichen Diskussionen in der WG-Küche konnte ich mit Zitaten von Camus richtig punkten. Glück hat mir sein Buch trotzdem nicht gebracht.
Von André Hennig
Es gibt zwei Dinge im Leben, die sehr schwer zu erlangen sind und noch schwerer zu halten: die Liebe und das Glück. Die Kunst des Liebens versuchte ich von Erich Fromm zu lernen, der Erfolg hielt aber nicht allzu lange an. Der Mann verlangt einfach zu viel guten Willen, das schafft ja kein Mensch. Auf den ersten Blick haltbarer erscheint da Albert Camus’ Weg zum Glück. In der Regel schaut das Glück immer mal kurz vorbei und denkt dann: "Na gut, reicht jetzt auch, ich geh dann mal wieder." Camus aber meinte, dass es zu bändigen wäre und verlangt dafür nur einen großen Willen, den Willen zum Glück. Das müsste doch zu schaffen sein, dachte ich, als ich dem "Glücklichen Tod" verfiel. Leider gibt es eine zweite Bedingung, die ich damals auf fatale Weise unterschätzte.
Ich kann mich nicht genau erinnern, wann ich in den Bann von Camus glücklichem Tod geriet. Wahrscheinlich war es in einem der trüben deutschen Wintermonate. Denn der Held Patrice Mersault sucht sein Glück unter der glühenden Sonne des Südens, beschattet von Olivenbäumen, die im Wind leise rascheln. Umspült von den warmen Wellen des Meeres, umgeben von schönen Frauen, sagt er Sätze wie diese: "Ich brauchte mich nur treiben zu lassen. Alles, was mir darüber hinaus widerführe, nun, es wäre Regen auf einen Kieselstein. Der kühlt ihn ab, und das ist schon sehr schön. Ein andermal durchglüht ihn die Sonne. Es ist mir immer so vorgekommen, als sei das gerade das Glück." So was kann einem Sprachhedonisten wie mir schon das Wasser in die Augen treiben. Patrice Mersault hat davon noch eine ganze Menge mehr auf Lager, mein Textmarker überzog ganze Seiten des Buches. "Er wurde sich klar, dass wir uns paradoxer Weise über die Menschen, die wir lieben, immer zweimal täuschen, anfangs zu ihrem Vorteil, und später zu ihrem Schaden." An passender Stelle während nächtlicher Diskussionen am WG-Küchentisch ins Gespräch eingeflochten, kann man damit ganz groß punkten.
Nachdem Mersault das Glück auch in den nach Salzgurken stinkenden Gassen Prags nicht gefunden hat, kehrt er in seine sonnige Heimat zurück. Dort findet er Obdach im "Haus vor der Welt", bei drei Grazien, mit denen ihn nur das Sinnliche, nicht das Fleischliche verbindet. Für letzteres heiratet er eine schöne und dumme Frau namens Lucienne. Seine Bestimmung aber sucht Mersault in einem einsamen Anwesen, wo er nach dem Glück in sich selbst forscht. Er findet den Tod im Stadium der Erleuchtung, im Gegensatz zum Heer der Ahnungslosen, die Angst vor dem Tod haben, "weil er die endgültige Bestätigung eines Lebens bedeutet, das sie nicht mitgelebt hatten. Sie hatten nicht genug gelebt, da sie nie gelebt hatten, und der Tod war für sie gleichsam die Geste, die einen Reisenden, der vergebens versucht hat, seinen Durst zu stillen, für immer des Wassers beraubt." Für Mersault ist sein Tod "die schicksalhafte, dabei aber zärtliche Gebärde, die auslöscht und verneint und ebenso zur Dankbarkeit wie zur Auflehnung verführt." So klingt Zen für Westeuropäer, Mersault ist der Buddah der Existenzialisten.
Nun aber kommt die schlechte Nachricht. Am Anfang erschießt Mersault, mehr oder weniger auf dessen Verlangen, den reichen Krüppel Zagreus und eignet sich dessen gesamte Barschaft an. Damit kann er das Glück nicht kaufen, wohl aber seinen Willen zum Glück finanzieren. An diesem Problem werde ich wohl scheitern. Die Idee hingegen ist groß. Man müsste nur clever genug sein, um mittels Bankraub oder Börsenspekulation ganz schnell ganz viel Geld zu verdienen. "Man kann alles kaufen. Reich sein bedeutet Zeit haben, um glücklich zu sein." Mittlerweile habe ich die schlimme Befürchtung, dass es so nichts wird mit dem Glück. Ich glaube, ich muss mir eine andere Strategie ausdenken. Und wenn ich die habe, dann schreibe ich einen Roman darüber. Vielleicht auch nur einen Ratgeber.