Besucher zeigen sich die Genitalien, Künstler Sado-Maso-Pornos – in der Wiener Ausstellung "Porn Identity" herrscht Hardcore-Sex im Überfluss. Das ist nicht erregend, aber wichtig.
Von Christian Maier
Nein, die öffentliche Aufregung ist bislang ausgeblieben. Keine wütenden Briefe von Feministinnen oder Katholiken – noch nicht einmal die rechte FPÖ hat sich zu der Ausstellung The Porn Identity in der Wiener Kunsthalle geäußert. Alles, was es an Kritik gibt, sagt Kuratorin Angela Stief, ist die Klage einer besorgten Mutter, deren Kinder das Ausstellungsplakat gesehen haben - dieses zeigt eine nackte Frauenskulptur aus dem Film "Clockwork Orange", die über einem roten Dildo kniet.
Über mangelnde Aufmerksamkeit kann sich die Kuratorin dennoch nicht beklagen. Zur Eröffnung der Pornoschau vorige Woche kamen 1800 Besucher. Rund 70 von ihnen nutzten den Besuch um spontan an einer Performance der Künstlerin Marlene Haring teilzunehmen. "Show Me Yours, I´ll Show You Mine", hieß die Aktion bei der Interessierte mit Haring in einen Schrank steigen konnten, um sich gegenseitig die Geschlechtsteile zu zeigen. Drei Paare hatten dort drinnen auch Sex, sagt Angela Stief.
Expeditionen in die Dunkelzone lautet der Untertitel, der zuvor in Rotterdam gezeigten Pornoschau. Und damit ist schon viel über das Ausstellungskonzept gesagt. In The Porn Identity geht es nicht um Stimulation, sondern vielmehr um das Ausloten verborgener Begierden. Irgendwo zwischen Kunst und Pornographie sind jene rund 40 Video- und Installationsarbeiten angesiedelt, die das Triebhafte im Menschen behandeln.
Das Verhältnis zwischen Feminismus und Pornographie beleuchtet etwa Louisa Achille in der Doku "The Naked Feminist". Sie interviewt ehemalige Pornodarstellerinnen wie Annie Sprinkle (ais Deep Throat) und Marilyn Chambers und berichtet von ihrem schwierigen Kampf heraus aus der Opferrolle. Sehenswert ist auch die Videoinstallation Dolores von Katrina Daschner, eine lesbische Adaptierung des Lolitamotives. Nabokovs Ich-Erzähler Humbert Humbert wird hier durch eine ältere Künstlerin ersetzt.
Männliche Homosexualität behandelt dagegen ein selbstreflexiver Sadomaso-Porno des Künstlers Tobaron Waxman. In diesem erniedrigen zwei junge Männer einen anderen erst sexuell, nehmen ihn dann aber auch in den Arm und trösten ihn. Der Film zeigt eines der letzten, großen Tabus unserer Zeit. Denn in Österreich und Deutschland ist jegliche Gewaltpornographie verboten - unabhängig davon, ob die Darsteller den Handlungen zustimmen oder nicht.
Mit Installationen wie diesen trat die Kunsthalle vorige Woche eine Pornodebatte in Österreich los. Laufend erschienen neue Artikel zur Ausstellung, in Analysen und Kommentaren wurde gefragt: Wie frauenfeindlich sind Hardcorefilme eigentlich? Brauchen wir einen strengeren Jugendschutz oder einen offeneren Umgang mit dem Thema? Und überhaupt: Welche Wünsche, Ängste und Vorstellungen löst der Porno in uns aus?
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Es scheint, als wüsste die Gesellschaft nicht, wie sie mit der gewaltigen Pornoflut umgehen soll. Das Problem ist auch relativ neu: Gab es in den Sechzigern weltweit gerade 2000 einschlägige Filme, so wird Youporn.com allein heute 15 Millionen Mal angeklickt. Dem Thema kann auch niemand entkommen: Unser Alltag ist durch und durch sexualisiert, laszive Gesten sieht man auf jeder Plakatwand.
Vor allem Feministinnen streiten, um den richtigen Umgang mit diesem Phänomen. Seit den Achtzigern bildeten sich dabei zwei konträren Standpunkte heraus. Auf der einen Seite stehen antipornografische Feministinnen wie Andrea Dworkin und Alice Schwarzer, die Pornographie als Ausdruck männlicher Gewalt sehen - und für die bereits das Ansehen der Filme eine Vorstufe der Vergewaltigung darstellt. Ironischerweise wird jene Alice Schwarzer im Sommer in Wien eine Gastprofessur annehmen und über Pornografie und Gewalt dozieren.
Auf der anderen Seite entstand nach 1980 in Amerika auch eine "sexpositive" Szene, vertreten durch Susie Bright oder Gayle Rubin. Diese Frauen sehen die sexuelle Freiheit als einen wichtigen Bestandteil auf dem Weg zur Gleichberechtigung - weshalb sie jegliche Einschränkung des Geschlechtsverkehrs unter Erwachsenen ablehnen. Sexpositive Feministinnen ermutigen Frauen sich ihre eigenen Filme zu schaffen.
Auch The Porn Identity greift das Thema weiblicher, pornographischer Stereotypen auf, und behandelt diese häufig ironisch. So lehnt an der Wand im Hauptraum ein Playboy-Flipper aus den Sechzigern von Ed und Nancy Kienholz. Als Einwurfschlitz dient die Scheide einer daran befestigen, bronzenen Beinskulputur. Im letzten Raum zeigt die Kunsthalle dann eine Persiflage auf den Film die "Fabelhafte Welt der Amelie." Das Künstlerkollektiv Panik Qulture hat den Stoff zu einer Genderkomödie mit heftigem Dildoeinsatz umgedeutet.
Überhaupt konzentriert sich die Ausstellung stark auf den Film. Doch während Arbeiten von Andrew Blake, Eon McKai oder Kenneth Anger prominent vertreten sind, fehlt jegliche Auseinandersetzung mit dem Web 2.0. Ein Versäumnis: Denn der dortige Konsum verändert den Blick auf Sexualität - vor allem bei Jugendlichen. Intimfrisuren, Analsex und Gangbang haben längst die Jugendkultur erreicht. Die wenigen Untersuchungen zum Thema liefern verstörende Ergebnisse: In Amerika glauben laut einer Studie etwa 70 Prozent der 14- bis 18-jährigen Jungs, dass sie ihrer Freundin nach dem Sex ins Gesicht spritzen müssen. Und in Deutschland zeigt eine Untersuchung, dass 60 Prozent der 16-jährigen zunehmend die Lust auf Sex verlieren, weil sie sich den Pornoansprüchen nicht gewachsen fühlen.
Pornos erregen eben nicht nur, sie machen auch Druck und turnen ab. Angela Stief erzählt, dass Florian Waldvogel, ein Kurator der Rotterdamer Schau nach seinen Recherchen fast ein Jahr lang jegliche Lust auf Sex verlor. Wer die Ausstellung gesehen hat, versteht den Mann. Denn trotz all der Brüste und Schwänze dürfte kaum jemand geil den Heimweg aus der Kunsthalle antreten. Dafür war es einfach zu viel.