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US-Wahlkampfspots

30-Sekunden-Schocker

In ihren Werbespots werfen sich amerikanische Politiker Unglaubliches vor. Wir haben die härtesten Videos aus 44 Jahren zusammengestellt.

„Opposition Research“ und „Negative Campaigning“ - was klingt, als könnte man es guten Gewissens auf die eigene Visitenkarte drucken (hinter „Chief Executive Officer of...“), bezeichnet im amerikanischen Wahlkampf Schlammschlachten und Schläge unter die Gürtellinie. Durchschnittlich 30-Sekunden stehen einem Wahlkampf-Werbespot im Fernsehen zur Verfügung. Weil es in dieser kurzen Zeit leichter ist, den Gegner schlecht zu machen, als sich selbst besonders gut darzustellen, floriert sein einem halben Jahrhundert das Negative Campaigning: Zuerst werden die Schwächen des Gegners recherchiert, dann in knallharter Negativwerbung ins Fernsehen gebracht. Dass die Anti-Werbung oft wirkt, legt die Erfahrung mit ihr nahe. Dass sie womöglich den Politikverdruss fördert, nehmen die Wahlstrategen in Kauf. Und weil sie oft so schön schaurig ist, haben wir pünktlich zu Halloween sechs der härtesten Gruselschocker aus 44 Jahren zusammengestellt.   

Wenn das Telefon nachts klingelt... Hillary Clinton vs. Barack Obama

Worum geht’s? Lang, lang ist's her – doch Ende Februar sah es noch so aus, als könne sich Hillary Clinton in den Vorwahlen gegen Barack Obama durchsetzen und Präsidentschaftskandidatin der Demokraten werden. Klar war aber damals schon: wenn, dann würde es verdammt knapp werden. Kurz vor den wichtigen Vorwahlen in Texas und Ohio griff Clinton zu einem Mittel, dass im Wettbewerb zwischen Parteikollegen eigentlich verpönt ist: sie veröffentlichte eine Anti-Werbung gegen Barack Obama. In der „Red Phone Ad“ klingelt mitten in der Nacht das Telefon im Weißen Haus – und eine Stimme fragt: „Wer soll den Anruf beantworten?“ Den zweiten Teil der Frage konnte man sich als Zuschauer hinzudenken: Hillary Clinton, die als First Lady acht Jahre lang die Welt bereist und diverse Krisen gemeistert hat – oder Barack Obama, der noch grün hinter der Ohren ist?

Was soll denn daran so gruselig sein? So ähnlich wie Frankensteins Monster scheint das Video aus Versatzstücken verschiedener Horror-Klassiker zusammen gestückelt zu sein: Die erste Einstellung erinnert an den Trailer des 70er-Jahre Kultschockers „Halloween“  - und das nächtlich klingelnde Telefon an „Scream“.

Was waren die Folgen? Am Ende hatten alle was von dem Spot: In den Vorwahlen von Texas und Ohio siegte Hillary Clinton. Doch auch Obama konnte sich ins Fäustchen lachen: der Werbeclip verwendet altes Archivmaterial und das gezeigte schlafenden Mädchen ist heute fast volljährig – und aktive Wahlkämpferin für Obama.

Wenn der Antichrist naht.... John McCain vs. Barack Obama

Worum geht’s? Erst relativ spät begann das Wahlkampfteam von John McCain, neben konventionellen Fernsehspots auch Videos zur exklusiven Veröffentlichung auf YouTube drehen. Das Gute an diesen Videos: sie dürfen länger als 30 Sekunden sein, weil man keine teuren Werbeminuten für sie kaufen muss. Und sie dürfen ein bisschen stärker vom Massengeschmack abweichen. Zum Beispiel, in dem sie sich an politischem Humor versuchen. Genau das tut das Video „The One“, das kurz nach Obamas Berlin-Rede und anderen internationalen Auftritten von John McCain veröffentlicht wurde und den Kandidaten als Möchtegern-Moses und Messias verspottet.

Was soll denn daran so gruselig sein? „The One“ ist aus zwei Gründen gruselig: erstens, denn, ja, das sind wirklich alles Original-Zitate von Barack Obama. Und zweitens, weil das Video angeblich eine zweite Bedeutungsebene hat: ein gewisser Grant von der christlichen Pro-Obama-Gruppe Matthew 25 schreibt, das Video sei gespickt mit düsteren Anspielungen auf die Bestseller-Romane der christlichen „Left Behind“-Serie. Diese Bücher handeln demnach vom Anti-Christen, der in Form eines charismatischen jungen Senators auftritt und eine Weltreligion namens „The One“ gründet. Er predigt Einheit, Hoffnung und Frieden – führt in Wahrheit aber die Zerstörung der Erde im Schilde. Grant vermutet, McCain ziele mit diesem Spot nicht auf Scherzkekse ab, die sich über die Moses-Szene freuen, sondern auf evangelikale Christen, die die Anspielungen verstünden.

Was waren die Folgen? John McCain hat sich zu diesen Vorwürfen nie geäußert. Das Video gehört mit über anderthalb Millionen Zugriffen auf YouTube derweil zu seinen meistgesehenen. Konservative greifen das Thema im Internet auf: die prominente Bloggerin Michelle Malkin schreibt immer wieder von „The One“, wenn sie Obama meint, ein anderes Blog fragt spöttelnd: „Is Barack Obama the Messiah?“

Wenn der Einbrecher kommt.... National Rifle Association vs. Barack Obama

Worum geht’s? Die fiesesten Werbeclips werden oft von so genannten 527er-Gruppen gedreht. Offiziell sind das Gruppen, die bestimmte Anliegen vertreten und darüber informieren. Benannt sind sie nach dem Paragraphen, der ihnen Steuerfreiheit garantiert. Damit die Unabhängigkeit von 527ern gewahrt bleibt, ist es ihnen verboten, Werbung für einen Kandidaten machen. Erlaubt ist allerdings, dass sie Werbung gegen einen Kandidaten machen – was bei einem Wettbewerb zwischen zwei Kandidaten natürlich etwas paradox ist. Eine dieser Gruppen ist der „Victory Fund“ der National Rifle Association (NRA). Er engagiert sich für den uneingeschränkten Erhalt des Rechts, Waffen zu besitzen. Und auch der Victory Fund hat es auf Obama abgesehen.

Was soll denn daran so gruselig sein? „Es gibt schlimmeres, als einen Anruf um drei Uhr nachts“, schrieb der Blogger Jim Geraghty über den Spot, der einen dramatischen Einbruch schildert und behauptet, Barack Obama wolle braven Bürger an den Kragen, die sich gegen Einbrecher mit Waffengewalt zur Wehr setzen. Das Perfide an solcher Werbung: sollte sich eine 527er mal im Ton vergreifen, kann sich der Kandidat, der von der Anti-Werbung profitiert, immer noch davon distanzieren – und würde wie ein Saubermann aussehen. Selbst schuld ist er an der Anti-Werbung ja nicht.

Was waren die Folgen? Die NRA behauptet, der Spot basiere auf einem wahren Vorfall. Die Organisation FactCheck.org nennt ihn „irreführend“. Nach Berichten der konservativen Zeitschrift Newsmax versuchte Obama die Ausstrahlung mehrerer Anzeigen der NRA zu unterbinden. Doch die macht unbeirrt weiter und kritisiert auf der Internetseite gunbanobama.com unter anderem FactCheck.org und veröffentlichte erst am Dienstag, eine Woche vor der Wahl am vierten November ein neues Video, in dem sich der Action-Darsteller Chuck Norris gegen die Wahl Barack Obamas ausspricht.

Wenn der zweite Bürgerkrieg droht... Obama-Anhänger vs. Sarah Palin

Worum geht’s? Als John McCain ankündigte, Sarah Palin zu seiner Stellvertreterin zu machen, war das eine gelungene Überraschung. Die 44-Jährige hatte sich zuvor von der Kleinstadt-Bürgermeisterin bis zur Gouverneurin von Alaska hochgearbeitet. Sie ist mit einem Arbeiter verheiratet und hat fünf Kinder – darunter einen Sohn, der im Irak dient, eine Tochter, die mit 17 schwanger wurde, und ein Baby mit Down-Syndrom. Kurz: Sarah Palin hat jede Menge Lebenserfahrung. Außerdem gilt sie als stramme Konservative und unkorrumpierbare Politikerin. Dumm nur: Sarah Palin war bis vor kurzem noch nie im Ausland, hat sich in den vergangenen Jahren offenbar nicht besonders für amerikanische Politik interessiert und wirkte in ihren ersten Fernsehinterviews sehr unvorteilhaft.

Was soll denn daran so gruselig sein? Gruselig ist für viele Amerikaner schon Palin selbst. Über die Hälfte der Befragten gaben kürzlich in einer Umfrage an, dass Palin nicht für die Präsidentschaft geeignet sei. Dabei könnte diese Frau bald nur einen Herzschlag davon entfernt sein, Präsidentin der USA zu werden – denn im Falle eines Wahlsiegs John McCains wäre sie diejenige, die seinen Posten übernimmt, wenn dem 72-Jährigen während seiner Amtszeit etwas zustößt. Mit dieser Angst spielt der Werbeclip und behauptet außerdem, dass Sarah Palin angeblich Mitglied einer Partei gewesen seien soll, die die Loslösung Alaskas aus der Vereinigten Staaten propagiert. Und auf solche Ideen sind die Amerikaner nicht gut zu sprechen: 1860 erklärte South Carolina als erster von mehreren Südstaaten den Austritt aus den USA. Die Folge war ein Bürgerkrieg, der vier Jahre andauerte, 620.000 Amerikaner das Leben kostete und weite Teile des Landes verwüstete.

Was waren die Folgen? Die Aussage des Videos ist falsch. Zwar sprach Palin als Gouverneurin von Alaska in diesem Jahr tatsächlich das gezeigte Grußwort zum Parteitag der Unabhängigkeitspartei Alaskas. Doch Mitglied war sie nie – das Video zitiert eine Falschmeldung, die die „New York Times“ bald korrigierte. Eine Koalition konservativer Blogger deckte auf, dass hinter dem Video, dass anonym auf YouTube veröffentlicht worden war, der Mitarbeiter einer PR-Firma steckte, die auch Barack Obama berät. Der Beschuldigte entfernte das Video aus dem Netz und nahm die volle Verantwortung auf seine eigene Kappe – die offizielle Obama-Kampagne habe mit dem Video nichts zu tun gehabt. Barack Obama distanzierte sich von dem Video.

Wenn der Mörder umgeht... Bush-Anhänger vs. Michael Dukakis

Worum geht’s? Michael Dukakis war in den 70er und 80er Jahren Gouverneur von Masachussetts. Dort hatte er ein Programm unterstützt, das Häftlingen Freigang gewährt – auch solchen, die ohne Aussicht auf Bewährung eingelocht wurden. Einer der Nutznießer dieses Programms war Willie Horton, der wegen Mordes lebenslänglich einsaß. 1986 floh Horton während seines Freigangs und tauchte unter. Gefasst wurde Horton, nachdem er eine neue Straftat begangen hatte: Nachdem er ihren Partner mit mehreren Messerstichen außer Gefecht gesetzt hatte, vergewaltigte er eine Frau mehrfach. 1988 trat Michael Dukakis als Präsidentschaftskandidat der Demokraten gegen George H. W. Bush an. Willie Horton wurde in der heißen Phase des Wahlkampfes zum Thema mehrerer Werbespots, die Dukakis vorwarfen, er ginge nicht hart genug gegen Kriminelle vor.

Was soll denn daran so gruselig sein? Der Fall war zu dramatisch, um keine Wirkung auf die Wähler zu entfalten: Fast ein Jahr war der verurteilte Mörder Horton frei durchs Land gezogen, bevor er erneut gefasst wurde – über 600 Kilometer entfernt von seinem Gefängnis, in einem Vorort von Washington, DC. Dabei hatte Dukakis die Freigänge nicht eingeführt, sondern das Programm lediglich fortgesetzt. Kritiker befürchteten außerdem, dass die anhaltende Kampagne den Rassismus des Publikums nähre: Immer wieder zeigten die Werbespots das Gesicht von Horton und erinnerten so die Zuschauer, dass es ein Schwarzer gewesen war, der eine weiße Frau vergewaltigt hatte.

Was waren die Folgen? Die „Willie Horton Ads“ gehören zu den bekanntesten Beispielen von Negativwerbung im amerikanischen Wahlkampf – und zu den erfolgreichsten. Trotz seines anfänglichen Vorsprunges in den Umfragen unterlag Dukakis schließlich gegen Bush. Al Gore war der erste gewesen, der 1988 in den Demokratenvorwahlen den Fall Willie Horton thematisierte. Ironischerweise unterlag Gore 12 Jahre später, als er selbst Präsidentschaftskandidat der Demokraten geworden war – gegen den Sohn von George H. W. Bush.   

Wenn der Atomkrieg droht... Lyndon B. Johnson vs. Barry Goldwater

Worum geht’s? Der Hintergrund des Präsidentschaftswahlkampfs von 1964 war in vielerlei Hinsicht brutal. Die Kuba-Krise war überwunden, doch der Kalte Krieg mit der Sowjetunion in vollem Gange. Präsident John F. Kennedy war nicht einmal ein Jahr zuvor ermordet worden. Und nun trat sein Vizekandidat Lyndon B. Johnson gegen einen Republikaner an, der erklärte: „Extremismus ist kein Laster, wenn es um die Verteidigung der Freiheit geht.“ Vor diesem extremen Hintergrund griff Lyndon B. Johnson zu einem extremen Fernsehspot.

Was soll denn daran so gruselig sein? Mädchen oder Bombe? Blume oder Atompilz? Liebe oder Tod? Lyndon B. Johnson setzt den Wählern die sprichwörtliche Pistole auf die Brust.

Was waren die Folgen? Lyndon B. Johnson gewann die Wahl – und hatte einen Werbespot geschaffen, der heute als Prototyp aller Negativwerbung gilt. Elektrisiert durch die Kandidatur Barry Goldwaters entstand die „konservative Bewegung“ der radikalen Republikaner, die den Wahlsieg von Ronald Reagan 1980 als ihren großen Erfolg feiert. Und trotz seiner „Krieg oder Frieden“-Rhetorik war es am Ende Johnson, der die Eskalation des Vietnam-Krieges zu verantworten hat.

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