Einwanderer
Souvenirs, Souvenirs
Rom, Paris, Berlin: Fliegende Händler sind überall. Und überall illegal. Wir haben einen von ihnen begleitet.
Von Anna Lu
Schnell knoten sie Armbänder um Touristenarme, schnell verlangen sie unverschämte Preise für den ungefragten Schmuck und schnell verschwinden sie, wenn mit der Polizei gedroht wird. "Souvenirverkäufer" sagen manche. "Ratten" sagt Sheryl, eine junge Amerikanerin: "Sie verderben dir die Aussicht, leben im Rudel und sind unglaublich hartnäckig." Der Rest der Reisegruppe nickt und entfernt sich von dem Afrikaner, der auf sie zukommt.
Der Afrikaner kommt aus Guinea: Er heißt Suleymane, ist 25 Jahre alt, sein Gesicht ist vernarbt. Er ist einer von Dutzenden fliegenden Händlern im Pariser Künstlerviertel Montmartre, einer von Tausenden in Europas Touristenhochburgen. Die meisten von ihnen kommen illegal aus Afrika und Asien, viele betreiben Markenpiraterie, keiner besitzt eine Handelsgenehmigung.
Suleymane ist einer von denen, die allen lästig sind: Einheimischen, Touristen und Behörden. Die Ordnungshüter führen Razzien durch, meist erfolglos. In Rom werden die fliegenden Händler von Polizisten auf Motorrädern verjagt. Doch wenn die Polizisten weg sind, kommen die Händler zurück. Runde um Runde jaulen die Motorräder, rennen die Verkäufer, freuen sich die Touristen über diese moderne Gladiatoren-Kämpfe vor den Toren des Kolosseums.
"Wir sind über hundert in Paris", sagt Suleymane. "Wir warnen einander, aber wir arbeiten nicht zusammen. Wir Afrikaner arbeiten bis fünf, dann kommen die Pakistaner und wir ziehen ab." Dann arbeitet Suleymane in Pigalle, "als Bodyguard, denn alle starken Männer arbeiten als Bodyguards." Pigalle, das ist das Pariser Rotlichtviertel. Und die Bodyguards, das sind die Türsteher an den unzähligen Sex-Clubs.
Seine Mittagspause verbringt Suleymane in einem tristen China-Imbiss. Die Portionen sind billig und groß. Nach und nach kommen andere Gäste – alles Afrikaner. Jemand stellt das Radio an, plötzlich wogt der ganze Raum zum Reggae, alle klatschen, alle tanzen. "Ich bin frei", sagt Suleymane, "hier in Frankreich bin ich frei."
Früher war er nicht frei. Er war Anhänger der Oppositionspartei in Guinea, von dem die Menschenrechtsorganisation Transparency International sagt, es sei eines der korruptesten Länder der Welt. Vor acht Jahren floh Suleymane nach Berlin zu seinem Bruder, einem Glückskind: er ist das Adoptivkind deutscher Eltern. Doch das Glückskind schickte ihn fort nach Düsseldorf, wo Suleymane sich mit Schwarzarbeit durchschlug, für einen Hungerlohn. Bis er 2004 gefasst und abgeschoben wurde, zurück nach Guinea.
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