Einmal im Jahr treffen sie sich auf einer Rennbahn in Thüringen. Punks, Gothics und andere, die man nie mit der Bibel verbinden würde. Das sind die Jesus Freaks.
Von Doreen Zimmermann
"Jesus, ich find’s geil, dass wir heut Freakstock feiern!"
So beginnt Martin Dreyer seine Predigt. Der 43-jährige Theologe ist Gründer der Jesus Freaks, einer Bewegung, die von sich selbst sagt, es gäbe "nichts besseres auf der Welt, als mit Jesus zu leben." Die mit den "Kreuzzügen, Hexenverbrennungen, langweiligen Kirchengottesdiensten, "Geld scheffelnden" Fernsehpredigern und all dem pseudo-religiösen Getue" aber nichts zu tun haben will.
Rund 4.000 Menschen sind in diesem Jahr auf dem Boxberg, einer alten Pferderennbahn in der Nähe von Gotha. Dazu kommen 600 Helfer, die auf dem Gelände unterwegs sind – Seelsorger, Handwerker, Waffelbäcker.
All diese Menschen könnten unterschiedlicher nicht sein – da sitzt ein pinker Iro neben der wallenden Rockermähne, schwarzer Gothic-Schick liegt kunterbuntem, H&M-Style in den Armen, weibliches Achselhaar trifft auf glatt rasierte und tätowierte Männerwaden. Vor 15 Jahren begann die Bewegung der Jesus Freaks im Hamburger Schanzenviertel. Anfangs waren vor allem junge Punks und Anarchos dabei. Die Gottesdienste hießen damals "Jesus-Abhäng-Abend".
Was all die unterschiedlichen Menschen miteinander verbindet, ist der Glaube, dass Jesus ein ziemlicher cooler Typ sei.
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Ich finde das gar nicht, ich bin Atheistin. Das Festival zu verstehen, fällt mir darum schwer. Ich könnte sagen: Freakstock, das ist ein christliches Festival der Jesus Freaks. Aber ich spüre, dass das zu wenig wäre. Zu einfach.
Diese Menschen haben etwas gefunden, das mir völlig fremd ist. Daher erhebt dieser Text keinen Anspruch auf Vollständigkeit, ich will nur ihre große Party mit Gott greifbar machen, indem ich von den Menschen hier erzähle.
"Freakstock ist der Wunsch, dem Leben mit Jesus öffentlich Ausdruck zu verleihen", erzählt mir Juran (28) aus Portugal. Ein Dreadlock tragender tätowierter Typ, der vor Freude und Liebe fast überbrodelt und seinen nächsten Bruder herzen muss.
Es geht überhaupt viel um die Liebe. Allerdings nicht so, wie man das von anderen Festivals gewohnt ist. "Der größere Teil der Bewegung sieht Sex in einem engen Zusammenhang mit einer tiefen und dauerhaften Bindung der beiden Partner und macht das an einer Ehe fest", sagt Hendrik Stoppel, der Mitglied des Leitungsteams von Jesus Freaks International ist.
In Workshops und Seminaren diskutieren die Teilnehmer darum über Kommunikation in der Partnerschaft, und dass man nur reifen kann, wenn man lernt wie Gott zu lieben.
Für ihn sei das "Welcome Home"-Schild, das seit zwölf Jahren am Eingang hängt, das deutlichste Symbol für den Charakter des Festivals, sagt Stoppel. Freakstock heiße man selbst zu sein und das Gefühl zu haben, nicht allein zu sein. "Du läufst übers Gelände und triffst immer wieder Freunde und Bekannte", sagt er.
Das ist die Gemeinschaft von der fast alle Freakstock-Besucher sprechen. Ich bewundere ihre radikale Verschreibung an Jesus, der ihnen Halt und Kraft gibt. Trotzdem habe ich keine Ahnung was die 19jährige Martina aus Zeitz meint, wenn sie sagt, sie wäre vom heiligen Geist erfüllt.
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Am Ende des Zeltplatzes treffe ich auf Sandra und ihren Freund Silas. Die 19jährige ist gemeinsam mit ihrer Gemeinde schon das fünfte Mal hier. Ihre Haare sind am Unterkopf kahl rasiert, zwei dunkle lange Zöpfe hängen darüber, farblich passend zu ihrem langen Baumwollrock. Ihre schwarz umrandeten Augen beginnen zu leuchten, stolz zeigt sie auf ihre gesammelten Stoffarmbänder – Zeugnis der vergangenen Festivals. Mit ihrer Sportlehrerin habe sie heftig diskutieren müssen, am Ende durften die Bänder dranbleiben.
Freakstock, sagt Sandra, das bedeute "geile Gespräche und eine coole Zeit". Sich von Gott berühren lassen und sich auf das Wesentliche besinnen.
Kurz hinter dem Erste Hilfe-Zelt treffe ich auf Anne Rose, 50 Jahre alt, aus Remscheid. Schwarz gekleidet, ein Kreuz prangt auf ihrem T-Shirt, sie hat zwei kleine Hunde an der Leine und ein Bier in der Hand. Sie sei das erste Mal dabei auf dem Freakstock, weil sie in ihrem Leben "noch so einige Baustellen" habe, wie sie es nennt.
Aber hier löse sie nicht ihre eigenen Probleme, sondern wolle zwei Jugendlichen helfen, mit denen sie zum Festival gefahren ist. Das sei für sie Gottes Auftrag.
"Die Freakstock Allgemeine Zeitung gibt’s nur für ein Lächeln und ein Dankeschön!", ruft Steve aus Hamburg quer über den Sternplatz. Mir bietet er erstmal ein paar Gummibären an. Auf seiner nackten Haut blitzen mit Schaum aufgesprühte Engelsflügel der Sonne entgegen. Während er spricht, malt Steve kleine Bilder in die Luft, springt immer wieder auf und ab. Er sagt, das Beste am Freakstock sei der Moment, in dem man auf dem Boxberg ankomme. Dieses Glücksgefühl endet für ihn auch erst mit der Abreise.
Steve ist zum ersten Mal auf dem Festival, früher war er drogenabhängig, aber Gott habe ihm geholfen davon weg zu kommen und jetzt hilft Steve eben auf dem Freakstock: räumt Flaschen weg, bereitet das Abendmahl oder die Bühnen vor.
Ich schlendere weiter und bleibe am Kunstzelt stehen. Judith, eine 22jährige Berlinerin arbeitet dort als freiwillige Helferin. Sie kommt ursprünglich aus Gotha, konnte aber anfangs nichts mit dem Freakstock anfangen. "Ich dachte, die tun doch nur so, als ob das Christentum was Spannendes ist".
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Ihre Schwester hat sie dann in Stuttgart zu den Jesus Freaks mitgenommen und da habe sie Jesus wirklich kennengelernt. Jetzt ist Judith schon zum fünften Mal dabei. Die Atmosphäre in diesem Jahr sei eine allerdings eine andere. "Viele Leiter sind gegangen und junge neu dazugekommen. Man spürt einen Umbruchprozess, eine gewisse Unsicherheit", sagt sie.
Kurz nach der Mittagszeit besuche ich das Kinderzelt. 80 Kinder sind derzeit auf dem Freakstock, gerade sind 30 bis 40 in dem eigens eingerichteten Kindergarten. Planschbecken, Hüpfburg, Sandkasten. Es gibt alles, was das Herz der jüngsten Freakstockbesucher begehrt. Auch die Jesus Freaks werden schließlich älter, viele von ihnen haben schon Kinder ¬– next Generation Freakstocker sozusagen.
Die Kinderbetreuung wird von den Jesus Freaks aus Ansbach übernommen, sagt Ronny (19). Sein schönstes Erlebnis auf dem Festival sei es, wenn die Kinder beginnen, kleine Kunstwerke auf seine Arme zu malen. Damit konnte er schon zwei stark tätowierte Metal-Typen beeindrucken, die bewegt waren von seinen selbst gemalten Buntstift-Tattoos, sagt er grinsend.
Ach, und ganz nebenbei gibt es natürlich Musik. Metal, Ska, Punkrock, Indiepop, Emo, Elektro. Eine Mischung aus alternativen und härteren Sachen.
"Du bist mein Gott, ich liebe Dich, Du bist mein Gott, ich will nur Dich"- wabert es über den Boxberg. Lobpreis made by Obadja, die nach Martin Dreyer auf der Mainstage rocken. Die Menschen vor der Bühne haben die Arme gen Himmel gestreckt, nicht wenige haben Tränen in den Augen und viele liegen sich minutenlang leise betend in den Armen. Mit geschlossenen Augen wippt eine junge Frau im Takt, neben ihr liegt ein Päarchen im Gras- die Augen geschlossen, beide haben eine Pilotenbrille auf der Nase und ein Kreuz um den Hals.