Etwa 1000 Attac-Mitglieder aus ganz Europa trafen sich vom 1. bis zum 6. August in Saarbrücken zur European Summer University. Sie wollten über neue Strategien beraten und sich besser untereinander vernetzen
Zuender: Die Attac-Mitglieder haben nun fünf Tage lang über neue Strategien beraten. Und?
Sven Giegold: Wir haben gelernt, dass wir das Kapital nicht auf nationaler Ebene bändigen können. Deshalb müssen wir uns selbst weltweit und in Europa organisieren.
Ein Beispiel: In vielen Orten Europas wird die Wasserversorgung privatisiert. Oft profitiert davon ein großes Unternehmen names Veolia. Gegen die Wasserprivatisierung haben wir auf der Sommeruniversität das Netzwerk Aquattac gegründet. Wir organisieren uns also über Ländergrenzen hinweg, um gemeinsam für Alternativen zu kämpfen.
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Zweites Beispiel: Wir fordern, dass die Bürger der Europäischen Union selbst über die Verfassung der EU abstimmen können. Wir werden uns in den Wahlkampf für die Europawahl im kommenden Jahr einmischen. Und wir werden am 11. Oktober einen europaweiten Aktionstag für veranstalten, auf dem wir dafür werben, die Volksentscheide in Irland, Frankreich und Holland zu respektieren.
Zuender: Geht die weit größere Gefahr für die Demokratie nicht von Unrechtsregimen aus, wie sie in China, Venezuela, Kuba, Simbabwe, Sudan und so weiter herrschen?
Sven Giegold: Zum Ersten würde ich Venezuela nicht in einem Atemzug mit China und Kuba nennen. Der Führungsstil von Hugo Chavez hat auch autoritäre Züge, doch er wurde mehrfach demokratisch gewählt.
Zweitens erleben wir gerade eine Häufung globaler Krisen, die alle eine Folge der unkontrollierten Globalisierung sind. Der Klimawandel ist eine Folge der Globalisierung des westlichen Lebensstils. Die derzeitige Wirtschaftskrise ist eine Folge der unkontrollierten Finanzmärkte. Die Explosion der Nahrungsmittelpreise ist eine Folge der ungerechten Welthandelspolitik.
Richtig ist, dass durch diese Krisen autoritäre Ideen überall auf der Welt neue Nahrung bekommen. Das betrifft gerade die Länder, die sich selbst als demokratisch bezeichnen. Es reicht ein Blick nach Italien, wo Silvio Berlusconi die Armee gerade mit Polizeiaufgaben betraut. Auch in den USA gibt es gute Gründe, an der Demokratie zu zweifeln. Dort wurde eine Wahl gefälscht...
Zuender: ... Sie meinen die vorige Präsidentschaftswahl?
Sven Giegold: Die erste Bush-Wahl und die Tatsache, dass man in den USA ohne viel Geld nicht gewählt werden kann. Die Bürgerrechte werden überall in der westlichen Welt eingeschränkt. Das alles ist eine Reaktion auf die Globalisierung, der verzweifelte Versuch, die daraus resultierende Probleme zu beherrschen.
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Zuender: Haben Sie die Lösung für diese Probleme?
Sven Giegold: Es gibt nicht die Lösung. Aber wir haben Vorschläge, um mit den schlimmsten Auswirkungen der Globalisierung fertig zu werden. Wir fordern, dass alle Finanztransaktionen besteuert und kontrolliert werden. Wir fordern die Schließung von Steuer-Oasen. Wir wollen soziale und ökologische Regeln im Welthandel.
Wir spüren aber auch, dass die Bereitschaft wächst, nicht nur über den Neoliberalismus zu reden, sondern auch über den Kapitalismus selbst.
Zuender: Das müssen Sie kurz präzisieren.
Sven Giegold: Die Leuten fragen sich immer öfter, ob mit dem System alles stimmt, wenn es trotz guter Argumente und haarsträubender Krisen nicht in der Lage ist, Alternativen zuzulassen.
Diese Diskussion hat Attac anfangs regelrecht vermieden. Doch die Fragen an den Kapitalismus werden härter: Warum wird die Gesellschaft reicher, meine Lebensumstände aber prekärer? Warum ist die Wirtschaft auf Wachstum ausgelegt, obwohl die Ressourcen unseres Planeten endlich sind?
Wir müssen uns diesen Fragen stellen. Was aber nicht heißt, dass Attac nun eine antikapitalistische Organisation wird – aber eine kapitalismuskritische.