In einem Themen-Park in Wien spielen Kinder das echte Leben: Sie gehen zur Arbeit und verdienen Geld. Am begehrtesten sind die Jobs als Kanalreiniger und Kassierer
Von Saskia Bellem
Minopolis liegt jenseits der Donau, in dem Teil von Wien, der scherzhaft Transdanubien genannt wird. Eigentlich ist es dort ziemlich uncool, nur die Cineplexx-Kinoanlage geht gerade noch als anerkannte Zivilisation durch. Hier ist Minopolis integriert, nach eigenen Angaben die erste und einzige permanente Kinderstadt Europas.
Eine Kleinstadtkopie, in der Kinder auf 6000 Quadratmetern und zwei Etagen die Welt der Großen in XS nachspielen können. Feuerwehrmann, Frisörin, Müllmann, Kinderkrankenschwester - alle Lieblingsberufe sind vertreten, insgesamt über 80 Stück aus rund 25 Branchen. "Nur die Tierärztin können wir nicht anbieten", sagt Robert Kopeinig, der Geschäftsführer. "Das geht leider nicht wegen der lebenden Tiere, aber es ist der Wunsch vieler Kinder." Die Kinder erproben hier die Welt der Erwachsenen im Kleinformat und erlernen spielerisch den Umgang mit Geld.
Jede Berufs-Station dauert pro Durchgang 30 bis 45 Minuten, dann wird gewechselt. Betreut werden die Stationen von "Kinder-Coaches", zumeist Lehramts-Studierende, die hier erste Berufserfahrung sammeln. Für sie ist das eine tolle Möglichkeit, denn hinter Minopolis steckt ein ausgeklügeltes pädagogisches Konzept.
Minopolis gehört zur Soravia-Gruppe, einem österreichischen Immobilien-Giganten, der ansonsten Hotels und Auktionshäuser betreibt. Nach dreijähriger Planung ging es 2005 an den Start und wurde seitdem bereits von 750.000 Kinder und Erwachsene besucht. Mehr und mehr kommen die Besucher nicht nur aus Wien, sondern auch den anderen Bundesländern, teilweise sogar aus den östlichen Nachbarstaaten. Bei soviel Erfolg ist die Expansion schon geplant, vor allem Deutschland und Osteuropa scheinen vielversprechend.
Die Werbeplakate von Minopolis sind im Stil von Blockbuster-Kinopostern gehalten – in dem Themenpark selbst drängt sich eine andere Assoziation auf: Minopolis erinnert an "Monopoly".
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Mit Geld geht es hier los: am Eingang zur Mini-Stadt erhalten alle Kinder jeweils einen Scheck über 110 Eurolino, die hauseigene Währung. Die österreichische Nationalbank ließ sich nicht lange bitten und beteiligte sich an der Herstellung der bunten Geldscheine. Von den insgesamt 45 Millionen Eurolino ist mittlerweile ein Großteil außerhalb von Minopolis in diversen Kinderzimmern im Umlauf, die Nationalbank druckt derzeit den zweiten Schwung.
Der erste Gang der Kinder führt daher zur Filiale der Raiffeisenbank, die täuschend echt aussieht – nur der Geldautomat fehlt, sonst stimmt alles. Logo, gelbe Farbe, sogar halbrunde, originialgroße Computer-Terminals stehen bereit. Kleine Bankangestellte thronen auf viel zu hohen Hockern und verschwinden hinter den riesigen PCs, mit denen sie die Konten ihrer "Mitbürger" verwalten. Hier können die Bewohner von Minopolis ihren sauer verdienten Lohn einzahlen und anlegen, 3% Zinsen gibt es auf das Geld. Das Konto bleibt bis zum nächsten Minopolis-Besuch bestehen, das Geld vermehrt sich in der Zwischenzeit, und Schulden kann man sowieso nicht machen. Alle verlassen Minopolis mit einem Plus.
Bis zum nächsten Besuch erinnert die persönliche Bankkarte an das Vermögen, das noch in Monopolis ruht und schnell wieder ausgegeben werden will. Die Rückseite der Karte wirbt gleichzeitig für die echte Junior-Card der Raiffeisenbank. Da kann das bei Minopolis Gelernte umgesetzt werden. Schließlich geht es um das Erlernen wichtiger Mechanismen der Erwachsenenwelt: Geld verdienen, anlegen, vermehren, ausgeben.
150.000 Kinder kommen zur Zeit pro Jahr – allein, mit den Geschwistern, als Geburtstagsgast oder mit der Schulklasse. Während sie den Führerschein für die kleinen VW-Autos machen, Flachbildschirme bei Saturn verkaufen, oder Patienten durch einen Siemens Computertomographen schieben, gönnen sich ihre Eltern für echte Euros im stadteigenen XL-Café einen Imbiss. Ein Sicherheitschip am Handgelenk verhindert, dass sich ein Sprössling alleine aus dem Staub macht.
Hier sollen Kinder an wichtige Themen herangeführt werden, zum Beispiel Verantwortung, Zusammenarbeit und Umweltschutz. Minopolis soll ihnen die echten Strukturen der Gesellschaft vermitteln, nur ganz fiese Sachen wie Hierarchien, Macht und Geschlechterrollen werden hier ausgeblendet. Alle sind gleich, es gibt keine Filialleiterinnen oder Bürgermeister, Jungs baden die Babys, Mädchen arbeiten auf der Baustelle, alle verdienen 20 Eurolino pro Einsatz.
Den Kindern macht ihr neues Stadtleben sichtlich Spaß, überall wuseln Polizisten mit Funkgeräten, ständig muss die Kehrmaschine ausrücken, immer ist irgendwo ein Kanalrohr verstopft - das Tempo ist hoch. Das muss auch so sein, manche Berufe sind besonders nachgefragt, da müssen die kurzen Kinderbeinchen schnell sein.
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Die Jobs an der Kasse sind der Renner schlechthin – zu herrlich ist das Rascheln der Geldscheine, das Plingen des Scanners. Laut Geschäftsführer Robert Kopeinig gehören die Berufe zu den beliebtesten, unter denen sich die Kinder etwas Konkretes vorstellen können. So sind nicht nur die Jobs in der Kanalisation oder bei der Straßenreinigung heiß begehrt. Auch das Bäckerhandwerk erzielt hier Nachwuchs-Raten, von denen die Innung im wahren Leben nur träumen kann. Echte Brötchen werden aus Hefeteig geformt, gebacken und verkauft. Bezahlt wird mit Eurolino, ohne die geht hier gar nichts: Stifte leihen zum Bildermalen, eine neue Haarfarbe im Styling-Salon oder der Lokführerschein, hier wird nichts verschenkt. Wie im echten Leben.
Insgesamt ist Minopolis eine Vorzeige-Stadt ohne Terrorismus oder Verbrechen. Der einzige Fall von Kriminalität ereignete sich im Mini-Hofer, dem österreichischen Aldi, wo einst ein gar zu eifriger kleiner Kunde beherzt in die Kasse griff. Hier kann die Minopolis-Polizei leider nichts tun, das Gefängnis wurde wenige Monate nach der Eröffnung von Minopolis wieder abgeschafft. In einer Stadt ohne Gerichtswesen und ohne Möglichkeit zu rechtsmäßiger Verurteilung sollten Haftstrafen nicht willkürlich festgelegt werden können, erklärt Aufseher Klaus Müllner.
Vielleicht haben ja aber auch Eltern protestiert, die nach 12 Euro Eintritt pro Kind ihren Nachwuchs lieber ohne Vorstrafen mitnehmen möchten. Dabei ist der Eintritt wie alles andere bei Minopolis nicht Zufall, sondern Kalkül: Kinder zahlen doppelt soviel wie ihre Eltern, das spiegelt das Wichtigkeits-Gefälle wieder. Schließlich haben die Kinder hier das Sagen und nicht die Erwachsenen.
Dabei leuchtet das Konzept nicht allen Eltern ein. Einst hatte eine erboste Mutter nach Kräften versucht, ihr Kind von der Hofer-Kasse wegzuzerren. Für die Zukunft ihres Sprösslings hatte sie sich dann doch etwas anders vorgestellt, als im Supermarkt an der Kasse zu sitzen.