der druck schnürte ihm den atem ab, trieb seine gelenke auseinander und jedes rühren brannte ihn wunder. da hing er immerhin 18 meter frei über der erde und war gefangen.
Der Sonntagstext von Antonia Baum
es war eben so, dass er sich nach einiger zeit wochentags, abends, nachdem er alle administrativen erledigungen vollends ausgeführt, den geforderten rapport auf den schreibtischen der vorgesetzten niedergelegt, das licht gelöscht, ein weiteres mal zur sicherheit kontrolliert, die büroschlösser in einem zweiten durchgang auf doppelten verschluss hin geprüft, um endlich die tiefgerage verlassen zu können und den heimweg zu seiner durchaus hübsch möblierte einzimmerwohnung anzutreten; dass er sich, nach all diesen unbedingt zu seiner verantwortlichkeit zählenden aufgaben;
dass er sich also nach ihrer erledigung an der westseite des obersten stockwerkes des firmeneigenen bürogebäudes hängend wieder fand. dies war auch für ihn ausserordentlich:
hals, hände, armbeugen, knie und fussgelenke waren durch grobe schlingen an einer konstruktion befestigt, die ihn an der gläsernen hausfront hielt. die arme im rechten winkel von sich gestreckt, erst mit ängstlichem zögern der konstruktion misstrauend, richtete er seinen blick nach oben.
da zog sich mit einem schnellen reissen, wie man es vom zerbeissen grobfasriger fleischstücke kennt, die schlinge um seinen hals, so dass ihm jede noch so kleine bewegung erschwert sein sollte. der druck schnürte ihm den atem ab, trieb seine gelenke auseinander und jedes rühren brannte ihn wunder. nach kurzer starre vor panik: — da hing er immerhin 18 meter frei über der erde und war gefangen—spürte er sich einen schauer die beine hochkrabbeln, der ihm schliesslich, am oberen hals angekommen, als leises lächeln im gesicht stehen blieb. zunächst davon beschämt, den blick gesenkt und sein an sich nacktes gesicht bemüht zu verdecken, indem er es unter großen mühen und ebenso tiefem genuss zur seite neigte, hielt er in den ersten wochen noch ängstlich ausschau, ob ihn nicht doch irgendjemand bemerken könnte. jemand, der das büro gegen die gewohnheit, unbemerkt nach ihm verlassen hatte, um nach feierabend noch einen blick in den nachthimmel zu werfen. oder ein später fitnessläufer, der innehalten und ihn trotz der höhe entdecken könnte.
bald jedoch merkte er, dass sie ihn niemals erkannten. sie liefen zu seinen füssen und sahen ihn nicht. er konnte ihren lauf verfolgen, wenn er seinen kopf ein wenig nach vorne neigte. dies geschah unter grössten schmerzen, verursacht durch die zur befestigung angebrachte schlinge um den hals, die zu seiner freude noch enger zugezogen worden war und ihm nun nahezu keinen spielraum mehr liess. er aber wollte sehen wer da lief. zudem brachte ihm das blosse an der glaswand hängen nicht mehr die anfangs erzielte befriedigung. und so zog er vor der abendlichen befestigung sein hemd aus. nun wurde endlich offensichtlich, wie sich die schlinge in seinen hals und die handgelenke grub, das angestaute blut um die stellen der einschnitte pulsierte und sein kopf rot und prall gefüllt war. er leuchtete. nur so konnte er sich erklären, dass urplötzlich an einem abend, dessen vorangegangene arbeitszeit völlig normal und planmäßig verlaufen war, 18 meter weiter unten sich eine gestalt im vorbeigehen positionierte und den blick auf ihn richtete. protest war ihm wegen seiner festgebundenheit unmöglich und so musste er ausharren und die erste peinlichkeit ertragen.
was ihm schnell gelang, denn diese peinlichkeit — — sie wurde ihm eine liebe! er, dieser ihm zunächst unbekannte jemand, kam von nun an jeden abend, kurz nach einbruch der dunkelheit, um ihn mit dem in die höhe gereckten daumen seines fäustchens kurz und unauffällig zu grüssen und zu ihm aufzuschaun. und war er doch mehrere haushöhen von ihm entfernt, so war ganz sicher das stille flüstern des anderen zu vernehmen, das von unten herauf sprach:
weiter, weiter, mach nur weiter. wie gern wär ich wie du.
es wurde beiden diese zusammenkunft, bei der er, an der hochhauswand hängend, um atem ringend, den oberkörper mit feinen rinnsalen von blut verziert, den gruss des anderen entgegennahm und sein flüstern erwartete, zum freudig ersehnten inhalt des gesamten tages.
gewissenhaft und mit bedacht erledigte er in den täglichen arbeitstunden seine pflicht, grüsste mit leichtigkeit die ihm verhassten kollegen ebenso, wie die geschätzten, verstand es an angemessener stelle kleine scherze in der mittagspause zu platzieren, durchschritt mit neuer kraft die tiefen flure bis hoch zu den vorgesetzten, wo er mit fester stimme die gewünschten ergebnisse vorzutragen wusste. all das gelang ihm in dieser vollendung nur durch die sucht nach der dämmerung, dem schmerz und seinem bewunderer.
sie machte es, dass er, um schnellstmöglich der letzte im büro sein zu können, langsameren kollegen ihre aufgaben abnahm, dass er noch exakter und schneller als sonst arbeitete — nur in der erwartung bald die schlinge um den hals und keinen boden mehr unter den füssen zu spüren. die vorgesetzen bedachten seinen eifer mit positiver überraschung, es wurde sogar eine beförderung in erwägung gezogen.
das nächtliche hängen an der glaswand wurde also auch für den beruf unerlässlich. nur brauchte er dafür seinen bewunderer, ein mögliches fernbleiben musste verhindert, die sensation unbedingt wach gehalten werden. da brachte er sich vor der abendlichen aufhängung sorgfältig ausgeführte kleine schnitte an den stellen der einschnürungen durch die schlingen bei und entkleidete sich, abgesehen von einem stoff um die hüften, zur besserer sichtbarkeit vollends. die arme im rechten winkel von sich gestreckt, die nackten beine wie ein pfeil nach unten zeigend, rann abend für abend das blut in kräftigen bahnen an ihm herunter und er empfing mit seeligem lächeln die worte seines bewunderers, der sich, weit unter ihm, um eine hausecke drückte:
weiter, weiter, mach nur weiter. wie gern wär ich wie du
, flüsterte es und durchfuhr den aufgehängten als gleichmässigen stoss, der sich bis in seine letzte faser ausbreitete. da hasste und liebte er die kleine kreatur auf dem boden und es wurde dieser sein glücklichster moment. nur benötigte er ein mehr. um die wirkung der bewunderung und seine folglich gesteigerte leistung anzuheben, musste er mehr wollen. könnte man dem bewunderer nicht ein verzücktes jauchzen, ein längeres bleiben oder ein verbeugen entlocken? wie war das zu bewerkstelligen? die schlinge tief in das fleisch seines halses eingegraben und in einziger beruhigung darüber, beschloss der aufgehängte im morgengrauen eines anbrechenden wochenendtages diesen, gegen die gewohnheit, aufgehängt zu verbringen. mit dem blick verfolgte er von oben, wie sein bewunderer die angrenzenden hochhäuser umschlich, endlich an einer nahe gelegenen kreuzung verharrte und sein gesicht ihm entgegen hob. doch blieben seine worte aus.
der aufgehängte wurde unruhig, neigte seinen kopf nach vorne — denn vielleicht hatte er ja bloß schlecht gehört — und riss dabei seine wunden klaffend auf, hoffte es würde auch unten von dem bewunderer zur kenntnis genommen werden und versuchte zur unterstützung ein durch die schlinge behindertes winken, das ihm mit einem schnalzen die sehnen durchtrennte und die hand von nun an müde nach unten hängen ließ. da fielen ihm erschöpft die augen zu, doch konnte er von weitem bestimmt das glückliche flüstern vernehmen:
weiter, weiter, mach nur weiter. wie gern wär ich wie du.
den kopf inzwischen schlaff auf der brust abstützend, klappte er unter grösster kraftanstrengung seine augen mindestens zur hälfte auf und machte auf dem boden seinen bewunderer aus, der sich, wie ihm erschien, in den ausklingenden bewegungen einer verbeugung befand. sogar ein anerkennendes nicken glaubte er gesehen zu haben. mit erleichterung schlossen sich seine augen und ein zufriedenes lächeln durchfuhr zuckend seine mundwinkel. ein zucken in vorfreude auf weitere maßnahmen, die er sich nun auszudenken vornahm, während der kleine kopf auf der brust sich hin und her rollte. es war einige tage später, als er von der sonne erwachte. der aufgehängte spürte hunger und durst. nach kurzer zeit der gewöhnung, verstand er, dass sein verlangen ausgehalten werden konnte und erkannte darin eine neue quelle für den bewunderer, die ihn ihrerseits zu stärkeren leistungen befähigen könnte. aber der bewunderer war weg. unter dem aufgehängten lagen prall gefüllte straßen in der mittagssonne, man ging der täglichen beschäftigung nach. der aufgehängte erinnerte sich an die zu seiner verantwortlichkeit zählenden aufgaben, die er, und da gab es nun mal keine entschuldigung, vernachlässigt hatte. wie aber sollte er sie in der von ihm erwarteten perfektion ausführen, wenn der bewunderer in den menschenströmen zu seinen füßen nicht mehr da war? wo war er überhaupt?
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die sonne brannte, seine oberfläche glich entzündetem leder, über knochengestecke gespannt. stündlich zwang er sich die augen aufzuschlagen, um den bewunderer auch sicher nicht zu verpassen. er würde bestimmt, wie bisher erst in den abendstunden eintreffen. in stiller sicherheit und mit freude dämmerte der aufgehängte ihnen entgegen, hatte er doch eine neuen anlass zur bewunderung vorzuführen: die magerkeit.
am nächsten tag wurde er bei untergehender sonne von einem stechen im oberkörper geweckt. aus seiner linken brust kam es blutig heraus, vor ihm schwebte ein großer vogel, der sich mit seinem kräftigen schnabel große stücke aus seinem matten körper herausriss, wohl zur fütterung der brut. sofort blickte der aufgehängte durch seine halbgeschlossenen augenlider nach unten, war er sich doch diesmal der anerkennung des bewunderers besonders sicher. auf der ihm zu füssen liegenden strasse verliessen kollegen das bürogebaude, die ihn, selbst wenn sie es gewollt hätten, wegen seiner magerkeit nicht mehr hätten erkennen können. bald würde er wieder unter ihnen sein. allein der bewunderer fehlte, war nicht mehr zu entdecken, musste aber seine anerkennung deutlich machen, damit der aufgehängte endlich wieder zur gewohnten leistung fähig war. und so wartete der aufgehängte darauf, dass die arbeit des hackenden vogels, die sonne und sein stetiger gewichtsverlust schnell ihr übriges tun würden, damit er, nur noch ein knochengerüst, durch die schlingen hindurch fallen und triumphierend zu seinem bewunderer hinab auf die erde fahren könnte, um die ihm gebührenden gesten persönlich einzufordern.