In Minsk haben in dieser Woche hunderte Menschen gegen Staatschef Lukaschenko protestiert, in mehreren Städten nahm der Geheimdienst kritische Journalisten fest. Was ist los in der "letzten Diktatur Europas"? Ein Interview mit dem Osteuropa-Experten Ingo Petz.
Fragen von Stefan Kesselhut
Im Jahr 1994 wurde Alexander Lukaschenko Präsident Weißrusslands. Seitdem hat er die Macht nicht aus der Hand gegeben – den Protesten vieler Gegner zum Trotz. Seine
Wiederwahl im Frühjahr 2006
sicherte er mit Hilfe ungenierter Wahlfälschung und dem Einsatz seiner Polizeikräfte.
Am 25. März kam es wieder zu Protesten gegen das Regime. Mehr als 80 Menschen wurden festgenommen, unter ihnen auch der Pressefotograf Andrei Liankevich.
Galerie: Bilder des verhafteten Fotografen Andrei Liankevich
ZUENDER:
Wie stark ist die Opposition in Weißrussland?
Ingo Petz:
Man geht davon aus, dass knapp vierzig Prozent der Weißrussen dem Regime eher kritisch gegenüber stehen. Die restlichen sechzig Prozent stehen aber immer noch fest hinter dem Staatschef. Die weißrussische Opposition ist seit vielen Jahren isoliert. Sie ist zerstritten und von einem gewissen Realitätsverlust geprägt. Es ist ungewiss, ob sie eine Umwälzung im Land tragen könnte.
ZUENDER:
Der Diktator sitzt also fest im Sattel?
Ingo Petz:
Auf jeden Fall. Ob das auch für die Zukunft gilt, ist schwer zu sagen. Seit der russische Gazprom-Konzern die Gaspreise stark erhöht hat, ist Lukaschenko etwas stärker unter Druck geraten. Nur konnte die Opposition das bislang kaum nutzen. Auf längere Sicht wird sich aber etwas tun. Lukaschenko agiert mit zwei Gesichtern: Auf der einen Seite will er stabile Beziehungen zu Russland, auf der anderen Seite sandte er in den vergangenen Jahren erste positive Signale an die Europäische Union. Trauen sollte man diesem Spiel jedoch nicht.
ZUENDER:
Am heutigen Donnerstag fanden Schnellverfahren gegen die festgenommenen Demonstranten statt. Unter ihnen war der bekannte Fotograf Andrei Liankevich, der von Polizisten verprügelt worden sein soll. Was ist dabei herausgekommen?
Ingo Petz:
Andrei wurde nach drei Minuten freigesprochen und konnte gehen. Andere Demonstranten müssen für 15 Tage ins Gefängnis. Solche Haftstrafen im Anschluss an Demonstrationen sind in Weißrussland an der Tagesordnung.
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Dass aber ein klar als Journalist erkennbarer Fotograf zwischen die Fronten gerät und verhaftet wird, weist auf eine gewisse Nervosität in der weißrussischen Führung hin.
ZUENDER:
Welche Repressalien müssen Oppositionelle fürchten – neben Verhaftungen während Demonstrationen?