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Depression

Ich Versager

Etwa vier Millionen Menschen in Deutschland sind depressiv. Statistisch gesehen bin ich also nicht allein.

Du erwachst in einem Operationssaal. Mit Entsetzen musst du feststellen, dass die Operation in vollem Gang ist. Während die Narkosewirkung nachlässt, nehmen die Schmerzen zu. Du willst dich dagegen wehren, bist aber zu schwach, um dich bei den Chirurgen bemerkbar zu machen. Dann fällt die Dunkelheit über dich her und alles, was dich noch mit der Welt verbindet, sind dumpfe, unerbittliche Qualen.

Ich habe schon häufig versucht, „gesunden“ Menschen zu erklären, wie sich meine Depressionsattacken anfühlen. Das ist schwer, denn eigentlich verstehe ich sie selbst kaum. Die Gründe sind mir ebenso schleierhaft. Wenn ich einen Gips am Arm tragen würde, könnte ich mir und anderen besser klarmachen, worunter ich leide.

Etwa vier Millionen Menschen in Deutschland sind depressiv. Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden es immer mehr: Bis 2020 werden Depressionen in den Industrienationen neben Herz-Gefäß-Erkrankungen die häufigste Krankheitsursache sein, sagt sie voraus. Zumindest statistisch gesehen bin ich also nicht allein.

Auf eine gute Phase folgt immer wieder das Loch. An einem Tag geht es mir gut. Dann kommt die Depression plötzlich aus dem Nichts. Die Attacken haben scheinbar keinen konkreten Anlass. Zuerst zweifele ich nur an mir, kurz darauf verliere ich den Glauben an den Rest der Welt. Im nächsten Moment liege ich niedergeschlagen im Bett und kann nicht mehr aufstehen. Ich bin der Leere meines Seins hilflos ausgeliefert und falle in einen Strudel aus Selbsthass, Hoffnungslosigkeit und unerträglicher Langeweile.

In solchen Momenten gibt es kein Entkommen vor mir selbst. Ich frage mich, weshalb ich so ein jämmerlicher Schwächling bin. Wieso ich nichts hinbekomme. Warum ich so langweilig bin. Und dumm. Schlagartig verliere ich die Kontrolle über mein Leben: Mails beantworte ich nicht, auch vor allen anderen Verpflichtungen drücke ich mich, weil ich panische Angst vor ihnen habe. Nach dem Aufwachen brauche ich drei Stunden, um aus dem Bett zu kommen – wenn ich es denn schaffe. Ich bin unfähig, eine klare Entscheidung zu treffen. Und ich hasse mich dafür, dass ich so fühle. Dass ich nicht zufrieden bin, weil ich es doch eigentlich sein müsste.

Beliebt mache ich mich mit dieser Einstellung nicht. Die wenigsten haben Verständnis für meinen Zustand, eher raten sie mir, ich solle mich zusammenreißen und endlich aus meinem Selbstmitleid herauskommen. Aber ich habe mir nicht ausgesucht, depressiv zu sein. Wenn ich damit aufhören könnte, würde ich es tun. Depression ist jedoch genauso wenig das Ergebnis einer freien Entscheidung wie ein Hirntumor.

Dennoch fühle ich mich schuldig. Weil ich die Erwartungen nicht erfülle, die an mich gestellt werden. Weil ich meine Eltern, meine Freunde und Kollegen enttäusche.

Ich bin überfordert. Zwischen meinen Ansprüchen und der Wirklichkeit liegen Welten. Ich schaffe nichts. Der enorme Erwartungsdruck zermürbt mich, mein Selbstbewusstsein ist auf dem Nullpunkt. Ständig muss ich mich rechtfertigen, sogar für meine miese Stimmung. Trotzdem soll ich meine Schwächen weiter verstecken. Karriereberater empfehlen beispielsweise, Depressionen im Lebenslauf besser nicht zu erwähnen.

Ich muss also schauspielern. Das ist umso schwerer, als dass ich mich allein gelassen und hilflos ausgeliefert fühle. Im Vergleich zu meiner Gefühlslage ist jedes Kartenhaus eine Festung. Sollte ich es an einem Tag doch aus dem Bett geschafft haben, reicht schon ein kleiner Misserfolg, und ich will mich wieder darin verkriechen. Dann denke ich nur noch diesen einen Satz: Ich will sterben. Immer wieder. Ich will sterben, ich will sterben.

Das Schlimme an Sinnlosigkeit ist nicht die nüchterne Erkenntnis, dass es kein Ziel gibt. Die Grausamkeit liegt im Nicht-Gefühl, das sich dahinter verbirgt. Alles fühlt sich leer an. Es fehlt mir nicht an Argumenten, sondern an einer Überzeugung: Als niedergeschlagener Mensch brauche ich viele Mut machende Erfahrungen, ein starkes Fundament. Dafür wiederum bin ich angewiesen auf viel Zeit und Menschen, die meine Gefühlsschwankungen mit mir aushalten können und mich auf dem Weg begleiten.

Manche meiner Depressionsattacken dauern ein paar Stunden, andere viele Monate. Wann sie auftreten, kann ich nicht voraussagen. Ob sie je aufhören werden, auch nicht. Ich denke während dieser Phasen häufig daran, mich umzubringen, und habe in Gedanken unterschiedliche Varianten durchgespielt. Bisher ist es dabei geblieben. Etwa jeder sechste schwer Depressive nimmt sich das Leben. Die Zahl der Suizide in Deutschland ist in den letzten 25 Jahren allerdings deutlich gesunken. Vermutlich ist das eine Folge der verbesserten Aufklärung und Behandlung. Ich kann nicht einschätzen, wie schlecht es mir wirklich geht, oder wie nah ich am Selbstmord bin. Fest steht: Schlimmer sollte es nicht werden. Sonst wird es wirklich gefährlich.

Momentan geht es mir OK. Ich mache eine Psychotherapie, es ist meine dritte. Ich bin Anfang zwanzig. Es stimmt einfach: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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