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Heiligabend

"Ich werde instrumentalisiert"

Er bekommt so intime Einblicke in das Leben vieler Familien, dass er sich manchmal fühlt wie ein Sozialarbeiter. Ein Interview mit dem Weihnachtsmann

Der Weihnachtsmann wohnt in einem Plattenbau am Alexanderplatz in Berlin. Er sitzt vor seinem Laptop, schaut Fußball und trinkt Filterkaffee. Seine Freundin nennt ihn Nils. In seinem Regal steht ein abgenutztes Notizbuch mit goldenem Umschlag.

Magst du Weihnachten?

Als Kind habe ich Weihnachten ganz doll gemocht. Später wurde mir der Heiligabend aber zu hektisch: Meine Mutter ist vom Gottesdienst zum Chor und dann nach Hause an den Herd gedüst. Und wir mussten immer aufräumen. Aber die Feiertage danach finde ich ganz angenehm.

Feierst du deswegen den Heiligabend nicht mit deiner Familie und bist als Weihnachtsmann unterwegs?

Nein, dieses Jahr mache ich das nicht mehr. Und damals war ich jung und brauchte das Geld. Schließlich kann man eine ganze Menge als Weihnachtsmann verdienen, so an die 300 Euro an einem Abend. Natürlich konnte ich so auch dem Stress zuhause entgehen und brauchte erst am ersten Feiertag erscheinen.

Wie bist du Weihnachtsmann geworden?

Indem ich mir die Klamotten gekauft habe. Vorher habe ich mich noch bei der studentischen Jobvermittlung angemeldet und an einer Schulung teilgenommen. Aber erst als ich die Verkleidung angezogen hatte und bei der ersten Familie im Wohnzimmer stand, war ich wirklich der Weihnachtsmann.

Was passierte denn bei der Schulung?

Man erfährt, dass der Weihnachtsmann ein lieber Weihnachtsmann ist, der keinen Alkohol trinkt, nicht raucht und seinen Bart nicht in die Getränke tunkt. Und man erfährt, wie das goldene Buch geführt wird: Darin steht die Tour beschrieben, die der Weihnachtsmann an Heiligabend abfährt. Außerdem steht darin, wie die Kinder heißen, was sie vortragen können, wo die Geschenke versteckt sind und welche Wünsche die Eltern haben. Den Kindern zeige ich das Buch und sage, die Engel hätten dort alles über sie aufgeschrieben. Und dann lasse ich mir von ihnen erzählen, was sie so im vergangenen Jahr gemacht haben, lobe sie und übe positive Kritik – je nach dem, was mir die Eltern im Vorgespräch erzählt haben.

Du warst hauptsächlich in Berlin-Pankow unterwegs. Was waren das für Familien?

Ganz gemischt. Ich war in Einfamilienhäusern, Altbauwohnungen, Mietskasernen, Plattenbauten. Es gab Eichenschränke mit Pokalen und Jägermeisterflaschen zu sehen, ebenso wie Designer-Möbel. Aber es waren viele Familien dabei, denen ich ansah, dass sie nicht viel Geld hatten, die aber einmal im Jahr den Kindern was gönnen wollten. Aber ich kann ja mal aus dem goldenen Buch vorlesen, wie die Eltern ihre Familie beschreiben ...

Der Weihnachtsmann schlägt das DIN-A4-Buch aus dem Regal auf. Darin sind Kopiervorlagen mit handgeschriebenen Notizen eingeklebt: "schnell eingeschnappt; ärgert den Bruder; wünscht sich, dass die Oma wieder gesund wird", "in der 2. Klasse sitzen geblieben, ist jetzt aber ganz toll; hat Monstervisionen", "Keyboard-Vorspiel: Leise rieselt der Schnee".

Sascha ist schon dreizehn. (Die Namen wurden geändert.) "Ein sehr braver Junge" sagt die Mama, aber er soll ihr öfter im Haushalt helfen und sich mehr um sein Meerschweinchen kümmern. Die Mama wird‘s ihm danken! Arne, neun, hat Schwierigkeiten mit dem Kopfrechnen. "Ist nicht so schlimm, wenn andere besser sind, aber anstrengen muss man sich." Und für die Oma Marion gibt es auch was: Sie soll mehr an ihren Blutdruck denken. Das habe ich der Oma Marion auch gesagt. Und sie soll häufiger auf den Tisch hauen, anstatt sich um alles selber zu kümmern. Opa Gerd soll im nächsten Jahr nicht so viel am Computer sitzen und mehr im Haushalt helfen. Und ich sollte ihn fragen, ob er überhaupt noch weiß, wie ein Staubsauger aussieht.

Es ist schon merkwürdig, wenn ich als Wildfremder solche intimen Informationen bekomme und dann die Familie damit konfrontieren soll. Dabei würden die mich auf der Straße niemals wiedererkennen. Schließlich gibt es vorher nur Telefongespräche und beim Auftritt bin ich komplett verkleidet. Man wird als Weihnachtsmann instrumentalisiert, um den Familienfrieden zu gewährleisten. Und damit bekommt das Ganze eine sozialarbeiterische Komponente, obwohl es sich um eine rein kommerzielle Tätigkeit handelt.

Gab es denn auch besonders negative Erlebnisse?

Der Weihnachtsmann blättert weiter durch sein Goldenes Buch.

Beim Vorgespräch frage ich die Eltern immer nach positiven Dingen über ihre Kinder, damit ich sie auch loben kann. Aber es gab Eltern, denen nichts Positives zu ihren Kindern eingefallen ist. Und das habe ich nicht nur einmal erlebt. Dieser Vater hat mir erzählt, sein Kind sei aufmüpfig und frech und ich sollte ihm sagen, dass es nicht mehr ins Bett machen solle. Natürlich habe ich das nicht gesagt. Aber der Junge hat Ernie und Bert -Bettwäsche bekommen und die Oma sagte zu ihm: "Jetzt hast du so schöne Bettwäsche, jetzt brauchst du auch nicht mehr einzumachen."

Die Mehrheit der Familien ist aber sehr liebevoll. Zum Beispiel die von Casy, Hassan und Fathma. Das war eine deutsch-türkische Familie, die nicht jedes Jahr einen Weihnachtsmann bestellen konnte. Zum Beweis, dass der Weihnachtsmann trotzdem immer da war, haben sie dann an jedem Heiligabend einen angebissenen Lebkuchen und eine angetrunkene Milch in der Küche stehen lassen. Als ich dann da war, musste ich natürlich in der Gegenwart der Kinder einen Lebkuchen essen und einen Schluck Milch trinken. Und als mich die Kinder fragten, wo die Rentiere seien, konnte ich ihnen erzählen, dass sie auf dem Dach warteten.

Und wie feiert der Weihnachtsmann selber?

Der kauft sich erstmal eine Portion Pommes, ein kühles Bier und eine Schachtel Zigaretten nach der Arbeit. Beim ersten Mal kam ich um zehn allein nachhause und hatte mich ausgeschlossen. Weil ein Feiertag war, musste ich zwei Stunden im Kostüm auf der Treppe warten und durfte dann die Hälfte meines Verdienstes an den Schlüsseldienst zahlen.

Fragen von Crisse Küttler 

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