Deutschsein

Aber ich bin deutsch!

Was mir als Deutsche zu gefallen hat, wissen die Türken offensichtlich besser als ich.

Von Almut Steinecke

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Türkisch tanzen, das ist in meiner Heimatstadt Bochum kein Problem. Als einzige Deutsche, als Ausländerin für einen Abend in der Bochumer Türken-Disco "Taksim", kann ich mich zu orientalischen Rhythmen räkeln – eine ganze Nacht lang, wenn ich will.

In Side an der türkischen Riviera, wo ich diese Leidenschaft entdeckte, ist das leider nicht so einfach. Mit einer Freundin verbrachte ich dort meine Ferien. Håkan, ein Animateur aus unserer Hotelanlage, hatte nur die Schultern gezuckt, als ich ihn fragte, warum in der Hotel-Disco vor allem Schlager und Charts gespielt würden. "Die deutschen Touristen beschweren sich, wenn wir türkische Musik bringen. Sie schimpfen beim DJ, bei der Leitung des Hotels. Also gibt es hier nichts Traditionelles." Er empfahl mir, außerhalb tanzen zu gehen.

Doch im Club auf der anderen Straßenseite lief auch nur das "Nummer-Sicher-Programm": Whitney Houston im Techno-Remix, DJ Ötzi. Dazu hauptsächlich deutsche Urlauber.

Ich spürte ein schmerzhaftes Pochen in der Brust, in mir wuchs so ein Fremdschämen: Massen von sonnenverbrannten Deutschen wiegten sich zu Euro-Dance. Wie ignorant musste das auf die Türken wirken? Wie klischeehaft, wie kulturblind?

Ich wollte die Ehre meiner Nation retten. Ich stärkte mich mit süßem Wein, stapfte los zum DJ auf der Empore, der vom Rest der Welt durch eine Treppe getrennt war. Ich kam nicht weit. Zwei türkische Türsteher verstellten mir den Weg. "Ich will mir nur türkische Musik wünschen!", rief ich an gegen den Lärm und wurde sanft zur Seite geführt. "Später," sagten sie, "jetzt ist Programm für deutsche Touristen." Ich wollte nicht aufgeben, "aber ich bin deutsch. Und ich will gerne türkisch tanzen!" Fast kam es zum Eklat, der Geschäftsführer trat hinzu. Er war merklich im Zwiespalt: hin und her gerissen zwischen Freude über die Lust auf seine Kultur, ein "wir-würden-ja-gerne" in den Augen. Aber auch eine Unerbittlichkeit, die mir sagte: ich werde nicht abweichen von der Vorgabe, den Willen der deutschen Gäste zu befriedigen.

In diesem Moment wünschte ich mir, für ein paar Minuten nicht wie eine deutsche Touristin auszusehen. Ich fühlte mich reduziert auf diese beiden Attribute – Deutschsein und Touristin sein –, gesichtslos, ohne einen individuellen Willen oder Geschmack. Die Leute hier nahmen mir meine Begeisterung nicht ab. Sie dachten, ich will sie verarschen. Dass eine Deutsche türkische Musik man, war hier nicht einkalkuliert. Ich irritierte nur.

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Der zweite Weltkrieg liegt jetzt schon eine Weile zurück. Und seit 9/11 haben die Araber uns den Rang als Welt-Ober-Bösewichte wieder abgelaufen. Trotzdem machen wir als Deutsche im Ausland immer noch interessante Erfahrungen. Hier geht es zur Übersicht.

01 / 2008
ZEIT ONLINE